
Containern : Armut wird straffrei
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Der Abfallcontainer ist keine Tauschbörse unter Gleichen. Bild: dpa
Die angestrebte Entkriminalisierung des Containerns ändert nichts an der Demütigung, die der Vorgang für viele mit sich bringt. Und den eigentlichen Skandal der Lebensmittelvernichtung lässt sie unberührt.
Geht man nach dem öffentlichkeitswirksam präsentierten Vorstoß der Minister Buschmann (FDP) und Özdemir (Grüne), muss man sich den Containerhof der Supermärkte in Zukunft als eine Art Tauschbörse vorstellen: Die einen, die ihre Waren, die in diesem Fall Lebensmittel sind, wegen abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums nicht mehr verkaufen dürfen, stellen sie in eigens dafür vorgesehenen Behältern zur Verfügung, wo sie die anderen, die sich die Waren wegen gestiegener Preise und aus vielen weiteren Gründen nicht mehr leisten können, künftig straffrei abholen können sollen (bisher kann man ja strafrechtlich dafür verfolgt werden, wenn man sich etwas aus dem Abfall nimmt) – eine Win-win-Maßnahme, so wie es aussehen soll. In diesem Sinne lobte denn auch der Sozialpsychologe Andreas Zick im Deutschlandfunk Kultur die angestrebte Entkriminalisierung des sogenannten „Containerns“, weil sie den Menschen an der Armutsgrenze „Handlungsfähigkeit“ ermögliche.
Doch in Wirklichkeit ändert der in Aussicht gestellte Gnadenakt der Straffreiheit den sozialen Charakter des Containerhofs natürlich nicht. Für Aktivisten, denen es beim Containern vor allem um das Nachhaltigkeitsprinzip geht, mochte er immer schon den Reiz des Abenteuerlichen haben; aber für die, die im Müll anderer wühlen müssen, um satt werden zu können, bleibt er ein Ort der Demütigung, ein Ort demonstrativer und sogar institutionalisierter Ungleichheit.
Verfemt und sanktioniert
Das eigentlich Skandalöse der Situation besteht darin, dass es für die Supermärkte auch aus steuerrechtlichen Gründen am einfachsten ist, noch essbare Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum auf den Müll zu werfen, wo sie zum Tabu werden, zu einem einerseits verfemten und andererseits vom Staat sanktionierten Bereich, weil Weggeworfenes weiterhin als Privateigentum gilt. „Sachspenden“ auch von Lebensmitteln behandelt das Finanzamt als umsatzsteuerpflichtige Entnahmen; als einzige Ausnahme werden Abgaben an die Hilfsorganisation „Tafel“ geduldet, die Lebensmittel an Bedürftige verteilt, die jedoch der zuletzt angestiegenen Nachfrage immer schwerer Herr werden kann.
So entsteht aus der Kombination mehrerer Prinzipien mit ihrer je eigenen ordnungsgemäßen Logik der jetzige Aberwitz: dass Nahrungsmittel nicht nur weggeworfen, sondern gewissermaßen systematisch von Menschen ferngehalten werden, die sie brauchen. Dieser systemische Aspekt macht den Handel zu einem besonders zugespitzten Fall, auch wenn nur sieben Prozent der elf Millionen Tonnen Lebensmittel, die in Deutschland jährlich im Müll landen, auf sein Konto gehen. Es ist offensichtlich, dass die angepeilte Straffreiheit für das Containern („sofern nicht Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung vorliegt“) diese Absurditätskette nur an ihrem äußersten Ende aufbricht. Daher trägt der Vorgang den kürzlich im Netz aufgetauchten spöttischen Titel „Armut wird endlich straffrei“ völlig zu Recht.
Wollte die Regierung den Skandal nicht nur verkleiden, sondern auch beenden, wäre neben dem Justizminister vor allem der Finanzminister gefragt. So wie es Sozialverbände schon lange fordern, würde die Abgabe nicht mehr verkaufbarer Lebensmittel dann nicht länger durch die Umsatzsteuer bestraft; wie in Frankreich würde sie den Supermärkten vielmehr zur Pflicht gemacht werden. Der Abfallcontainer erscheint dagegen jetzt als Realsymbol nicht nur der sozialen Erniedrigung, sondern auch einer Auslagerung der politischen Verantwortung. Einer Regierung, die „eine Gesellschaft des Respekts“ verspricht, sollte man ihn nicht als Lösung durchgehen lassen.