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Lebensmittel-Lobby : Kommt die Ampel, ist Schluss mit Nutella

Um die Lebensmittel-Ampel schlugen die Lobbyisten eine erbitterte Schlacht. Am Ende gewann die Industrie. Bild: Reinhard Eisele

Zucker und Salz, Brüssel erhalt’s: Die Nahrungsmittel-Lobby hat schon manches Vernünftige verhindert. Ungesundes hat es nach wie vor leicht. Über den diskreten Charme der Bürokratie.

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          Die Niederlage war schmerzlich, die Lebensmittel-Ampel beerdigt, und die Schuldigen waren schnell gefunden. „Statt Bürgernähe herrscht in Europa die Lobbymacht der Industrie“, schimpfte Matthias Wolfschmidt, stellvertretender Geschäftsführer der Organisation Foodwatch. In dieselbe Kerbe schlug der schwedische Grüne Carl Schlyter. Und die britische Sozialistin Glenis Willmot sagte: „In all meinen Jahren als Europaabgeordnete habe ich nicht so viele Mails, Briefe, Faxe und Anrufe bekommen, in denen ich zu Frühstücken, Mittagessen und Abendessen, Diskussionsrunden, Seminaren und Konferenzen eingeladen wurde, alle organisiert und bezahlt von der Lebensmittelbranche und alle gegen mehr Transparenz und Ehrlichkeit bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln gerichtet.“ Schmutzige Tricks, warf die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt der Branche sogar vor.

          Hendrik Kafsack
          Wirtschaftskorrespondent in Brüssel.

          Selten war der Begriff der „Lobbyschlacht“ so treffend wie 2010 und 2011, als Europaparlament und Ministerrat über die Einführung der Lebensmittel-Ampel debattierten. „Drei große Lobbyschlachten gab es seit der Jahrtausendwende: um die Chemikalienverordnung Reach, die Tabakverordnung und die Lebensmittel-Ampel“, sagt Johannes Kleis vom europäischen Verbraucherschutzverband Beuc. Die Ampel sollte den Verbrauchern zeigen, ob der Zucker-, Fett- und Salzgehalt in Cornflakes, Pizza oder Fruchtjoghurt im grünen, gelben oder roten Bereich liegt. So könne der Käufer auf einen Blick erkennen, ob ein Produkt gut für ihn sei, argumentierten ihre Anhänger. Eine Horrorvorstellung aber war das für die großen Unternehmen der Lebensmittelbranche wie Nestlé, Cargill, Unilever oder Danone, vergleichbar mit der Idee, nur noch neutrale Verpackungen für Zigaretten zu erlauben.

          Die Fitness der Lobbyisten

          Dabei hätte die Branche schon 2008 aufatmen können. Damals hatte die Europäische Kommission ihre Vorschläge für neue Kennzeichnungsregeln für Lebensmittel vorgelegt. Die sahen zwar vor, dass es - jenseits der schon weitverbreiteten, freiwilligen Angaben zu Kalorien-, Salz-, Zucker- und Fettgehalt - eine Pflicht zur exakten Kennzeichnung geben würde. Die zuvor von der Kommission erwogene Ampel aber enthielt der Vorschlag nicht. Den ersten Sieg hatte die Branche also erzielt. Und die beste Schlacht ist die, die nicht geschlagen werden muss, lautet eine Grundregel der knapp 15 000 Brüsseler Lobbyisten. Am effizientesten kann Einfluss nehmen, wer engen Kontakt zur Kommission hält. Schließlich kann nur sie neue Regeln vorschlagen, und was sie nicht vorschlägt, muss dann meistens auch nicht mühsam in Parlament und Ministerrat bekämpft werden.

          Denn dann wird es teuer, wie die Debatte um die Lebensmittel-Ampel gezeigt hat. Bis zu einer Milliarde Euro hat die Lebensmittelindustrie nach Einschätzung der Lobbykritiker vom „Corporate Europe Observatory“ zur Abwehr der Ampel und weiterer strikter Vorgaben für die Kennzeichnung ausgegeben. Am Ende bleibt oft nur die Drohung mit Arbeitsplatzverlusten und Firmenschließungen. „Nach dem Motto: Wenn die Ampel kommt, ist Schluss mit Nutella“, sagt Verbraucherschützer Kleis. Allzu oft aber kann man diese Karte nicht spielen, sonst wird sie unglaubwürdig.

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