Der Aufstand der Atome
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„Why Liberalism Failed“ argumentiert, dass es dem Liberalismus gelungen sei, den Einzelnen aus allen persönlich geprägten Beziehungen und Traditionen herauszulösen. So werde er den Mächten des Markts und des Staats unvermittelt ausgeliefert. Bild: dpa
Einem in Amerika viel diskutierten Buch zufolge ist der Liberalismus gescheitert. Und hinterlässt zersplitterte Individuen, die ihre Wünsche an die einzige Organisation richten, die für sie noch erreichbar ist: den Staat.
Die SPD-Mitglieder grübeln jetzt, wie sie sich zur großen Koalition stellen sollen, aber worüber können sie da überhaupt abstimmen? Der Koalitionsvertrag quillt über von ritualisierten Formeln, die ein beständiges Kopfnicken erheischen, aber eine eigene politische Haltung zu einer wiedererkennbaren Gegenwart wird in ihm nicht deutlich; all die Polarisierung, Zersplitterung, Unversöhnlichkeit, die der Gesellschaft in diesen Jahren auch jenseits der sogenannten Flüchtlingskrise zu schaffen machen, spielen da gar keine Rolle. Es ist, als könnten die Parteien noch nicht einmal eine Sprache für die davon ausgehende Verstörung finden, von der der Aufstieg der rechten Demagogen nur ein Teil ist.
In den Vereinigten Staaten erregt gerade ein Buch Aufsehen, das eine Bresche in die begriffslose Beklommenheit schlagen könnte: „Why Liberalism Failed“ (Yale University Press); allein die „New York Times“ veröffentlichte in den vergangenen Wochen vier Besprechungen zu dem Buch, zwei mit Einschränkungen lobende, eine rundweg ablehnende und eine spielerisch mäandernde. Der Autor dieses Buchs, der Politikwissenschaftler Patrick Deneen von der University of Notre Dame, ist ein Konservativer, aber seine Überlegungen elektrisieren auch Linke wie den afroamerikanischen Philosophen und Bernie-Sanders-Unterstützer Cornel West („Race Matters“), der zu ihnen schrieb: Es drohten immer mehr Ungleichheit, Repression und geistige Leere, wenn wir nicht „die tiefreichenden Vorannahmen überprüfen, die uns gefangen halten“. Das ist eben das, was Deneen versucht: Er legt keine empirische Studie vor, sondern unternimmt einen Abgleich der klassischen Theorien des Liberalismus mit einer Reihe von Gegenwartsbefunden, um so die allzu selbstverständlich gewordenen Kategorien, mit denen die politische Klasse umgeht, wieder von außen in den Blick zu bekommen.
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