Das Sprechen trainieren : Was die Stimme alles leisten muss
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Besonders beim Telefonieren in der Kontaktnachverfolgung wird die Stimme sehr stark beansprucht. Bild: dpa
Kommunikation ist keine Einbahnstraße, wenngleich es mit einem maskierten Gegenüber manchmal so scheint. Es gibt simple Tricks, um besser verstanden zu werden.
Masken so weit das Auge reicht. Sie sorgen nicht nur für beschlagene Brillengläser und Kurzatmigkeit beim Sprint zur Bahn, sondern auch für Verständnisschwierigkeiten. Der World-Voice-Day, der seit 1999 jährlich am 16. April begangen wird, um auf die Bedeutung von Stimmen aufmerksam zu machen, ist ein Anlass mehr, die Auswirkungen der Pandemie auf unsere Stimme zu betrachten. Die Stimme gibt viel preis über die Gemütslage, Absicht, Aufmerksamkeit und Empathiefähigkeit ihres Besitzers.
Der Mund ist das Zentralorgan unserer Kommunikation. Bedeckt wird er momentan häufig von Masken, deren Material hohe Frequenzen und Einschwingvorgänge vor den Vokalen, lauter Unter- und Zwischentöne des Sprechens, herausfiltert. Das stellt unsere Stimme vor neue Herausforderungen. Wir müssen nicht nur lauter sprechen, um gehört zu werden, wir müssen auch deutlicher artikulieren und eventuelle Bedeutungsnuancen eindeutiger herausmodellieren. Der Opernsänger und Stimmcoach Sebastian Kroggel beschreibt ein häufiges Problem: Oft rutscht die Maske, so dass viele Sprecher ihre Artikulationsbewegungen einschränken, um das unerwünschte Freilegen der Nase zu verhindern. Darunter leidet die Artikulation, die auf ein Zusammenspiel von Kiefer, Mund und Zunge angewiesen bleibt.
Neben der lautlichen Artikulation drücken wir aber auch Emotionen durch den Mund aus. „Der Mund ist zentral für uns, um die Beziehungsebene einschätzen zu können“, sagt Kroggel. Allerdings könne man nicht nur sehen, sondern auch hören, wie das Gegenüber das Gesagte meint oder verstanden wissen will. Die Mimik moduliert den Stimmklang. „Beim sogenannten echten Lächeln bewegt sich der große Jochbein- und der Augenringmuskel. Dadurch verändert sich die Mundform und die Modulation“, erklärt Kroggel. Man kann es auch durchs Telefon hören, wenn die andere Person lächelt.
In die Kamera schauen
Mit der Pandemie einher geht für viele die Verschiebung der Arbeit vom Büro in die eigene Wohnung. Viele machen sich dort kaum Gedanken über ihre Kommunikation. Denn was verstanden wird, hängt nicht nur von dem ab, was, sondern auch, wie es gesagt wird. Bei den Videokonferenzen, so Kroggel, schauen viele Teilnehmende, wenn sie etwas sagen, auf den Bildschirm statt in die Kamera. Durch einen direkten Blick in die Linse können sie aber mehr Aufmerksamkeit der anderen binden. Wichtig sei überdies die Kamera-Perspektive. Man müsse auf eine „gleichberechtigte Blickachse“ achten, sagt Kroggel. Sonst finde Kommunikation nicht auf Augenhöhe statt. Das sei aber wichtig für die Beziehungsarbeit, besonders im beruflichen Kontext.
Unabhängig vom Arbeiten im Homeoffice oder dem Tragen einer Maske gibt es simple Tricks, um die Stimmwirkung zu optimieren. Noch vor dem eigentlichen Sprechen sei es essentiell, das aktive Zuhören zu trainieren. Laut Kroggel denken wir immer in Antworten, statt wirklich auf das zu hören, was das Gegenüber sage. Um sich auf ein Gegenüber gesprächsoffen einzustellen, helfe es, während des Zuhörens aktiv die Becken- und Bauchmuskulatur zu lösen. Wenn es dann ums Sprechen geht, solle man sich selbst beim Reden zuhören. Man finde dann von selbst das optimale Sprechtempo und die angemessene Lautstärke. Der Aufregung vor Vorträgen könne man mit der Anker-Technik beikommen. Man lege eine Hand auf das Brustbein und spreche. Die bewusste Wahrnehmung der eigenen Resonanzvibration setze einen mentalen Anker, der in angsteinflößenden Situationen beruhigen könne.
Während man in der Physiotherapie körperliche Beweglichkeit gewinnt, kann man beim Stimmtraining üben, wie man wieder in seinen Eigentonbereich gelangt, der für Souveränität stehe. Kroggel bringt viel Erfahrung mit. Der Opernsänger steht seit siebzehn Jahren auf der Bühne und arbeitete auch als Nachrichtensprecher. Seine Leidenschaft für das Sprechen entdeckte er durch die Werke Richard Wagners. Er nahm sechs Jahre lang Unterricht, um seine Singstimme aufzubauen. Ganz so lange dauert es für die Sprechstimme nicht, hier würden sich schon nach wenigen Stunden Unterricht Veränderungen zeigen, sagt der Experte. Die Gefahr des Verstummens im Falle von Isolation durch die einsame Arbeit im Homeoffice bestehe übrigens kaum. Möglicherweise verkümmere die Stimme ein wenig, aber diesem Effekt könne man schon mit knapp fünf Minuten Stimmtraining am Tag entgegenwirken. Ein Lichtblick in den sonst so beschlagenen Zeiten.