Kardinal Walter Brandmüller : Das Christentum hechelt nicht nach Applaus
- -Aktualisiert am
Der liberale Freiburger Theologie Magnus Striet schrieb Anfang des Jahres in der „Herder Korrespondenz“: Wenn gegenwärtig zu hören ist, „Amoris laetitia“ habe die Lehre der Kirche nicht verändert, sie nur tiefer verstanden, so sei das schon erstaunlich. Man möge stattdessen doch bitte offen sagen, dass sie mit diesem Schreiben verändert werde.
Da hat er natürlich recht. Es gibt tatsächlich Leute, die noch denken können. Ich habe große Sorge, dass etwas explodiert. Die Leute sind ja nicht dumm. Allein der Umstand, dass eine Bittschrift mit 870.000 Unterschriften an den Papst mit der Bitte um Klärung, dass fünfzig Gelehrte von internationalem Rang ohne Antwort bleiben, wirft in der Tat Fragen auf. Das ist doch wahrlich schwer zu begreifen.
Kritiker halten in diesem Zusammenhang dem Papst vor, hinter der lächelnden Fassade ein autoritärer Typ zu sein, der mit einer zweifelhaften Personalpolitik durchregiere: Er tauscht demnach theologisch profiliertes Personal gegen handwerklich schlechtere Leute. Hinzu komme eine ausgebuffte Synoden-Regie, als in Rom die Grundlagen für „Amoris laetitia“ diskutiert worden waren, gepaart mit jesuitischer Raffinesse.
Ja, solche Kritik wird tatsächlich – bis hin zu Ross Douthats Artikeln in der „New York Times“ – in zunehmenden Maße geübt. Es gibt Journalisten, die sagen, dass die Atmosphäre im Vatikan total gewandelt sei. Man spreche nur noch mit den engsten Freunden. Wenn man telefoniere, benutze man das Handy. Was soll ich dazu sagen?
Was halten Sie eigentlich von der Konstruktion des „emeritierten Papsts“, wie sie Joseph Ratzinger für sich in Anspruch nimmt?
Den „Papa emeritus“ als Figur gibt es nicht in der ganzen Kirchengeschichte. Und dass ein Papst jetzt hergeht und eine zweitausendjährige Tradition umstößt, das hat nicht nur uns Kardinäle total überfahren. Ich hatte an jenem Rosenmontag des Jahres 2013 Gäste, eine interessante Tafelrunde. Wir sitzen gerade beim Aperitif und warten auf den noch fehlenden Gast, als ein Journalist anruft mit der Frage: Haben Sie es schon gehört? Ich hielt die Nachricht für einen Faschingsscherz. Rosenmontag eben.
Welcher Ihrer im „Dubia“-Schreiben formulierten Zweifel ist der zentrale? Wie würden Sie versuchen, ihn einem Laien noch einmal knapp zu erklären?
Zunächst: „Dubia“, also Zweifel, Fragen an den Papst zu richten, war immer schon ein Verfahren, um Unklarheiten zu beseitigen. Völlig normal. Sodann: Es geht hier, vereinfacht gesagt, um die Frage: Kann heute etwas gut sein, was gestern Sünde war? Außerdem wird gefragt, ob es wirklich – so eben die beständige Lehre – Handlungen gibt, die immer und unter allen Umständen sittlich verwerflich sind? Wie zum Beispiel die Tötung eines Unschuldigen – oder auch der Ehebruch? Darauf läuft es hinaus. Sollte nun in der Tat die erste Frage mit Ja und die zweite mit Nein beantwortet werden – dann, ja dann wäre dies Irrlehre und in der Folge Schisma. Spaltung der Kirche.
Halten Sie ein Schisma tatsächlich für denkbar?
Das möge Gott verhüten.
Walter Brandmüller
Streitbarer Kirchenhistoriker: 1929 in Ansbach geboren und evangelisch getauft, konvertierte Walter Brandmüller als Jugendlicher zum Katholizismus. 1953 zum Priester geweiht, war er von 1971 bis 1998 Ordinarius für Neuere und Mittelalterliche Kirchengeschichte an der Universität Augsburg. Daneben betreute er in diesen Jahren die 1400-Seelen-Gemeinde Walleshausen als Pfarrer.
Nach seiner Emeritierung wurde er in das Amt des Chefhistorikers in den Vatikan berufen und übte es bis 2009 aus. 2010 wurde er zum Titularerzbischof geweiht und danach von Papst Benedikt XVI. ins Kardinalskollegium aufgenommen. Brandmüller ist Experte für Konzilsgeschichte. Beim Konklave 2013, aus dem Jorge Bergoglio als Papst Franziskus hervorging, war er altersbedingt nicht wahlberechtigt.