Politische Strategie : Alles besser anders machen
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Die Auswüchse des Finanzkapitalismus spalten die politischen Lager Bild: dpa
Die Kritik am Finanzkapitalismus geht noch nicht weit genug. Die Linke muss den Ideenwettbewerb um eine neue Gesellschaft mit den demokratischen Konservativen aufnehmen.
Es ist Mode geworden, den Erfolg von politischen Parteien am Erfolg ihrer Repräsentanten festzumachen. Aber das greift zu kurz. Für die FDP konnte es nach Guido Westerwelle auch deswegen kein Comeback geben, weil nicht allein Personen, sondern eine Ideologie gescheitert ist: die des marktliberalen Besitzindividualismus. Denn diese Denkweise, die Freiheit auf wirtschaftliche Vertragsfreiheit reduziert, hat ihren Einfluss in fast allen Parteien verloren - obwohl sie in Deutschland seit jeher immer nur in gemäßigter Form mehrheitsfähig war.
In den beiden großen Lagern, dem konservativen und dem linken oder rot-grünen, hat spätestens mit der Finanzkrise ein ungeordneter Rückzug vom Neoliberalismus begonnen. Die SPD marschiert ihren „dritten Weg“ mühsam rückwärts und räumt manche liberalen Irrtümer aus der rot-grünen Koalition weg - jüngst in der Steuerpolitik. Und wachsende Teile der Konservativen stellen ihre als Traumhochzeit stilisierte Partnerschaft mit ihrem wirtschaftsliberalen Lebensabschnittsgefährten in Frage. Es ist historisch also kein Zufall, dass sich die besonders schrillen Marktschreier, wie Friedrich Merz (CDU), Wolfgang Clement (Ex-SPD) oder Oswald Metzger (Ex-Grüner), zurückgezogen oder sogar ihre Parteien verlassen haben.
Wir erinnern uns: Gerhard Schröder wollte 1998 nicht alles anders, aber vieles besser machen. Heute kann „besser machen“, verstanden als bloßes pragmatisches Regierungshandwerk, weder die Kapitulation vor der politischen Auseinandersetzung, noch der Weisheit letzter Schluss für die Sozialdemokraten sein. Im Gegenteil: Wir müssen heute auch vieles anders machen. Dies jedoch setzt die Bereitschaft zu einer modernen, nicht rückwärtsgewandten Kapitalismus- und Ideologiekritik voraus. Die Auswüchse des Finanzkapitalismus stehen derzeit überall am Pranger, aber wenn die Kritik zu Veränderungen führen soll, muss sie tiefer gehen. So manche mit Verve vorgetragene kritische Stimme dieser Tage ist - wieder einmal - nur oberflächliche Taktik, aber keine Strategie.
Falsche Mythen
Um an den Kern vorzudringen, ist es nötig, die in die Parteien und Köpfe eingesickerten marktliberalen Mythen zu widerlegen und zu überwinden. Der erste Mythos lautet, dass die im freien Spiel der Kräfte erzielbaren Einkommen gerecht sind und der eigenen Leistung entsprechen. Die gegenwärtige Debatte über „mehr Steuern für Reiche“ krankt daran, dass sie nur als Rettungsmaßnahme für einen verschuldeten Staat verstanden wird.
Gesellschaftlicher Wohlstand entsteht aber aus einem komplexen Zusammenspiel vieler Faktoren. Der Reichtum Einzelner ist nicht zwingend gleichzusetzen mit ihrer Leistung. Der Immobilienbesitzer, der auf dem Wohnungsmarkt in einem schick gewordenen Stadtteil seine Mieten ständig anhebt, erwirtschaftet einen höheren Gewinn, ohne etwas dafür zu leisten. Die Aufwertung dieses Stadtteils ist eine „kulturelle Leistung“ der Bürgerinnen und Bürger, oft jener, die sich die teuren Mieten dann nicht mehr leisten können. Es ist also nur recht und billig, wenn die Gesellschaft diesen Gewinn oder das Vermögen angemessen besteuert - auch um die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur der Städte zu erhalten und neuen günstigen Wohnraum zu schaffen.
Der zweite Mythos behauptet, der Eigennutz eines jeden maximiere das gesellschaftliche Wohl. Die damit verbundene Frage, ob jeder mit seinem Eigentum (nach Steuern) machen kann, was er will, wird von der Gesellschaft bejaht, sofern er damit nicht Nebenfolgen auslöst, die das Gemeinwohl gefährden. Gerade weil das liberale Menschenbild vom homo oeconomicus zwar oft, aber nicht immer falsch ist, brauchen wir allgemeingültige Regeln. Denn das Verhalten einer Herde von ökonomischen Egotaktikern kann zu Krisen und Wohlstandsverlusten führen, wie die jahrhundertelange Geschichte von Gier und Panik in diversen Spekulationskrisen zeigt. Leider ist hier die gesellschaftliche Lernkurve bemerkenswert flach. Wichtiger als eine Schuldenbremse ist eine volkswirtschaftliche Renditebremse, gerade um nachhaltiges Wirtschafts- und Unternehmenswachstum zu ermöglichen.