Eurokrise : Was wir Europa wirklich schulden
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„Wir haben es mit einem massiven Vertrauensschwund gegenüber dem gesamten europäischen Projekt zu tun“: Sigmar Gabriel im Bundestag Bild: dapd
Jürgen Habermas hat die aktuelle Bedrohung der Demokratie analysiert. Weitreichende Reaktionen waren die Folge. Wohin führen uns, im Lichte dieser Debatte, die Beschlüsse von Brüssel?
Vor kurzem gab der Feuilleton-Redakteur Thomas Assheuer in der „Zeit“ eine provokante Suchmeldung auf: Er stellte - zeitversetzt im Imperfekt - die Frage, wo denn „eigentlich die Intellektuellen waren“, als „Europa fast in Trümmern lag“. Dabei nahm er zu Recht Jürgen Habermas, Klaus Harpprecht, Ulrich Beck und Hans Magnus Enzensberger in Schutz, die aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln das Thema Europa nicht aus Gewohnheit abhandeln, sondern als Gegenstand kultureller Leidenschaften verstehen. Doch außer bei diesen Großmeistern entzündet das Europa von heute kein Feuer mehr in den Herzen deutscher Geistesarbeiter.
Vermutlich liegt das daran, dass Europa vor geraumer Zeit in die Hände von Händlern, Ökonomen und Finanzanalysten geraten ist. Das erklärt, warum bis heute die Sehnsucht nach einer europäischen Erzählung ungestillt ist. Helmut Schmidt hat in seiner großen Rede auf dem SPD-Bundesparteitag vor einer Woche gezeigt, wie eine solche Erzählung aussehen könnte, ohne in den Untiefen der Ökonomie zu ersticken. Es ist wahr: Wirtschaftliche und monetäre Umbruchzeiten sind vor allem kulturelle Zeitenwenden. Und genau dies haben weder Politiktreibende noch Kulturschaffende bislang hinreichend begriffen.
Professionelle Anscheinserweckung und Als-ob-Politik
Wer Europa neu denken und den europäischen Gründungsgedanken neu beleben will, der muss zuerst auch politische und kulturelle Attitüden und Mentalitäten verändern. Nur so wird es möglich sein, die real existierende europäische Zuschauerdemokratie in eine partizipative Verantwortungsgemeinschaft von selbstbewussten und selbstbestimmten Europäern zu verwandeln.
Gewiss: Im Interesse Deutschlands und Europas musste man hoffen, dass Angela Merkels spät begonnene Versuche der Krisenbewältigung erfolgreich sind - aber auch nach dem jüngsten Gipfel sieht es nicht danach aus. Der Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte zu Recht gefordert, den Geburtsfehler der Währungsunion zu beseitigen und eine echte politisch verantwortete Fiskalunion zu schaffen - also eine gemeinsame Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Legitimiert durch die Parlamente oder Volksabstimmungen, würden dabei bislang rein nationale Souveränitätsrechte in der Europäischen Union gebündelt, um in einer gemeinsamen Währungszone auch eine gemeinsame Strategie des Schuldenabbaus, der Sanierung der Staatshaushalte und der Investition in die Wettbewerbsfähigkeit sowie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu verfolgen. Nichts anderes hatten jene elf Länder, die sich 1949 zur Bundesrepublik Deutschland und zuvor schon zum Gebrauch der gemeinsamen Währung D-Mark zusammenschlossen, übrigens auch getan. Sie hatten damit Erfolg selbst in den Ländern, die - wie Bayern - anfangs außerordentlich arm und rückständig waren.
Diese dringend notwendige Fiskalunion hat Angela Merkel am letzten Wochenende zu einer reinen Sanktionsunion degradiert. Dazu noch eine, die sich nicht richtig traut. Nationale Schuldenbremsen wurden zwar verabredet, und wer dagegen verstößt, soll Sanktionen ausgesetzt werden. Die allerdings kann eine Mehrheit der Mitgliedstaaten auch in Zukunft stoppen, wenn sie die Konsequenzen fürchten. Wenig mehr also als die bereits existierenden - und nicht funktionierenden - Regeln des Vertrages von Maastricht. Das ist professionelle Anscheinserweckung und die übliche Als-ob-Politik, die nicht mehr bewirkt als den nächsten Gipfel. Ein ziemlich mageres Ergebnis, erkauft mit dem Ausscheiden eines wichtigen, wenn auch schwierigen Landes wie Großbritannien aus dem europäischen Projekt.