Die Freiheit hängt am seidenen Faden
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Eine Demonstration vor dem Knesset Anfang der Woche Bild: AVISHAG SHAAR-YASHUV/The New Yor
Mit der Verschiebung der Justizreform haben die liberalen Israelis einen Etappensieg erreicht – mehr nicht. Der „Wind der Veränderung“ ist auf den Straßen spürbar. Ein Gastbeitrag.
Seit Langem haben die säkularen Juden in Israel, die sogenannte schweigende Mehrheit, mit Erstaunen, manchmal auch mit schierer Ehrfurcht zugesehen, wenn eine Minderheit orthodoxer Juden zu Tausenden durch die Straßen marschierte, um sich Gehör zu verschaffen, oder wenn ein Thema, das ihnen am Herzen lag, im Parlament diskutiert wurde. In den Nachrichtensendungen tauchten sie in Scharen in schwarzen Anzügen und mit schwarzen Hüten auf, eine menschliche Masse, die nicht zu übersehen war. Doch in den vergangenen Monaten haben säkulare Juden in Israel bewiesen, dass auch sie in der Lage sind, sich um eine Idee zu scharen. Sie taten dies ohne einen geistlichen Führer, sondern aus dem großen Glauben an die demokratische Idee, auf der der Staat Israel gegründet wurde. Die Nachrichtensendungen sind jetzt voll von Blau und Weiß, den Farben der israelischen Flagge, die von Hunderttausenden von Demonstranten einhellig geschwenkt wird, und die Regierung und der Mann an ihrer Spitze waren schnell dabei, die friedlichen Demonstranten als „Anarchisten“ zu denunzieren.
Als in Berlin lebender Israeli haben mich diese Bilder inspiriert, mich den Demonstrationen gegen die „Justizreform“ in der deutschen Hauptstadt anzuschließen, denn ich weiß, was jeder Israeli, der außerhalb Israels lebt, weiß: Man kann sich an mehreren Orten der Welt zu Hause fühlen, man kann mehrere Sprachen lernen, aber man kann nur eine Heimat haben. Diesen Ort gibt es, genau wie das Wort selbst, nicht im Plural.
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