Junge Journalisten in Libyen : Mit bloßen Händen Bomben entschärfen
- -Aktualisiert am
Ein Mitglied der Gruppe „Nationale Libysche Armee“ sucht während eines Gefechts Schutz in den Trümmern eines zerstörten Gebäudes am Stadtrand von Benghasi. Bild: AFP
Nach Libyen trauen sich westliche Journalisten kaum. So haben sich junge Libyer zusammengetan, um aus ihrem Land zu berichten. Auf „Local Libya“ erzählen sie vom Widerstand gegen den Terror.
Die Schlächter des „Islamischen Staats“ sind zwar nicht mehr da, aber sie haben dafür gesorgt, dass man sie nicht vergisst. Als sie im Frühjahr 2016 aus dem ostlibyschen Benghasi vertrieben wurden und Familien in ihre Häuser zurückkehrten, waren es zuerst die Kinder, die beim Spielen ihren Minen und Sprengfallen zum Opfer fielen.

Redakteurin in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Sie liegen überall: unter Türschwellen, in Gärten, auf dem Universitätsgelände. Direkt neben dem Campus der Universität von Benghasi lebt Osama al Fitory, dessen Vater dort jahrzehntelang lehrte. Längst sind keine Studenten mehr da, die er unterrichten könnte. Nur ein paar Männer trauen sich auf den Campus. Es sind sieben Familienväter aus Benghasi, die mit bloßen Händen nach Minen suchen. Fitory sind sie im letzten Sommer aufgefallen. Er war neugierig und beschloss, sie bei ihrer Arbeit mit der Kamera zu begleiten. Auf seinen Videos sieht man, wie sie vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen. Metalldetektoren haben sie nicht, auch keine Schutzkleidung; mit Schaufeln und Drahtschneidern entschärfen sie die fichtenzapfenförmigen Sprengstoffbehälter. „Allahu akbar“, rufen sie jedes Mal, wenn sie es schaffen, den Draht der Bombe abzuknipsen, ohne dass sie explodiert.
Von acht Männern leben nur noch drei
Der 34 Jahre alte Fitory ist mit seiner Canon-5D-Kamera fast immer dabei. „Die Kamera hilft mir, Distanz zum Krieg zu bekommen. Ich denke dann nur an die Szene, die Perspektive, den Winkel“, sagt er. „Erst wenn ich allein vorm Computer sitze und das Material schneide, kommen mir die Tränen.“ Zu Beginn seiner Dreharbeiten waren die Männer zu acht. Schon am dritten Drehtag sah Fitory, wie der Körper eines der Väter von einer Bombe zerfetzt wurde. Mittlerweile, nach acht Monaten Dreharbeiten, gibt es nur noch drei Überlebende, zwei von ihnen haben ihre Beine verloren. Der Einzige, der noch arbeiten kann, Adil, geht allein auf Minensuche. Er sagt: „Ich weiß, dass ich irgendwann entweder sterbe oder schwer verletzt werde. Aber ich will nur eines: Dass die Leute mich nicht vergessen und auf meine Familie aufpassen, wenn ich nicht mehr da bin.“ Fitorys Film ist fast fertig. Er wünscht sich nichts mehr, als dass wenigstens Adil ihn sehen kann.
Das Zwischenergebnis seiner Arbeit hat Fitory jetzt bei einer Konferenz in der tunesischen Hauptstadt Tunis vorgeführt. Er und eine Reihe anderer junger libyscher Laienjournalisten haben ihre „Geschichten vom unbekannten Libyen“ vorgestellt, wie die Konferenz der deutschen Candid Foundation und dem Maghreb Economic Forum hieß.
„Wir brauchen eine Plattform, um dieses komplexe Land erklären zu können“, sagt Mirco Keilberth, der das Journalistenprojekt leitet und als freier Libyen-Korrespondent für verschiedene deutsche Medien berichtet. „Wir zeigen hier etwas, das nicht Chaos und Brutalität ist.“ Jeden Monat kommen er und die Libyer zusammen. „Ich will vor allem meinen Landsleuten diese Geschichten erzählen“, sagt Fitory. „Denn in Misrata und in Tripoli haben sie keine Ahnung, was bei uns in Benghasi vor sich geht. Es ist, als würden wir in verschiedenen Ländern leben.“