Sterne-Koch Peter Knogl : Essen, das zu schön aussieht, schmeckt oft nicht
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Bild: F.A.Z.
Einen guten Fisch kaufen und braten, das kann jeder – aber eine Sauce zubereiten? Peter Knogl über die Sensibilisierung der Geschmacksnerven und Geschmack, der im Gedächtnis bleibt.
Herr Knogl, als Sie im „Cheval Blanc“ des Basler Hotels „Les Trois Rois“ anfingen zu kochen, hatte das Restaurant keinen einzigen Stern. Jetzt sind es drei. Wie sind Sie selbst kulinarisch sozialisiert worden?
Ich bin in der Nähe von Deggendorf auf einem Bauernhof groß geworden. Meine Mutter hat gekocht, es gab immer frisches, gutes Essen bei uns - viele Mehlspeisen, oft Gulasch, Schweinebraten, Kartoffelpüree, viele Eintöpfe. Essen aus der Dose kam bei uns nicht auf den Tisch! Meine Großmutter, die keine ausgebildete Köchin war, hatte einen kleinen Gasthof. Als Kind habe ich ihr manchmal beim Kochen zugeschaut.
Wenn Sie heute Ihre Mutter besuchen, kochen Sie dann auch?
Nein, ich darf schon seit sehr vielen Jahren nicht mehr in die Küche meiner Mutter.
Weshalb das denn?
Sie findet, dass ich zu viel Geschirr benötige.
Waren Sie als Kind ein schwieriger Esser?
Nein. Wir sind sehr streng erzogen worden. Was auf den Teller kam, das wurde auch gegessen. Und: „Wir mussten so lange sitzen bleiben, bis wir aufgegessen hatten ...
... was im schlimmsten Fall dazu führt, dass man gegen bestimmte Gerichte eine lebenslange Abneigung entwickelt.
Bei mir ist das die Hühnersuppe. Die mag ich bis heute nicht.
Was kommt neben Hühnersuppe nicht auf Ihren Tisch?
Hirn, Milz, Zunge. Da ekele ich mich derart, dass sich bei mir alles zusammenzieht.
Gibt es ein Essen aus Kindertagen, bei dem Sie sich in die Vergangenheit zurückversetzt fühlen, so wie Prousts Ich-Erzähler in der berühmten Madeleine-Szene?
Dampfnudeln mit Vanillesauce. Die Zubereitung ist mir aber zu aufwendig. Ich esse sehr gerne ganz dünne, mit Apfelmus gefüllte Pfannkuchen.
Wann waren sie zuletzt in einem Fastfood-Restaurant?
Wie lange das ganz genau her ist, weiß ich nicht, ein paar Jahre vielleicht.
War es McDonald’s?
Ja. Für ein Fastfood-Restaurant ist die Qualität dort gar nicht schlecht.
Fastfood, künstliche Aromen und Konservierungsstoffe verfälschen unseren Geschmackssinn. Nehmen wir die Ananas. Wie wir ihren Geschmack beschreiben, hängt auch davon ab, in welcher Form wir sie zum ersten Mal gegessen haben. War sie frisch, oder kam sie aus der Dose und wurde unter Scheiblettenkäse auf einem Toast Hawaii vergraben? Wie schmeckt die perfekte Ananas?
Sie hat eine bestimmte Süße, schmeckt fruchtig und kompakt, aber nicht faserig. Es ist sehr wichtig, Kinder früh an natürliche Nahrung heranzuführen. Wie schmeckt ein Apfel? Wie schmeckt eine Kartoffel? Wie verändert die Konsistenz den Geschmack? Wer Radieschen oder Gurken hauchdünn schneidet, merkt, dass sie einen anderen Geschmack entfalten. Geriebener Apfel zum Beispiel schmeckt viel intensiver als einer, der nicht gerieben wurde.
Was tun Sie, damit Ihre eigenen Geschmacksnerven sensibel bleiben?
Ich rauche nicht, außer ganz selten mal eine Zigarre. Scharf esse ich nur hin und wieder, das muss man als Koch klug dosieren. Wenn ich im Sommer am Wochenende mal ein Barbecue mache, habe ich am Dienstag Probleme beim Abschmecken.
Wobei Ihnen dann Ihr Team helfen muss. Wie groß ist dieses Team?
Acht Köche und sechs Kellner. Die Köche kommen aus Japan, Portugal, Spanien, Deutschland. Diese multikulturelle Zusammensetzung ist mir extrem wichtig, sie tut der Stimmung gut. Ich habe selbst viel im Ausland gelebt, in Spanien, England, Frankreich und in der Karibik. Ein rein deutsches Team würde nicht gleich gut funktionieren. Es birgt die Gefahr von Einseitigkeit.
Wie ist Ihre Kochphilosophie?
Wir kochen eine klassische Küche, modern interpretiert.
Was genau heißt modern interpretiert?
Wir kombinieren ungewöhnliche Aromen, zum Beispiel Lamm, Ingwer und Paprika. Ingwer und Lamm, das machte man früher schlicht nicht. Wichtig ist, dass der Ingwer den Geschmack des Lamms leben lässt, dass beide Geschmackskomponenten nebeneinander existieren, sich gegenseitig beflügeln. Bei uns steht der Geschmack im Vordergrund, nicht die Optik.
Aber bei Ihnen isst das Auge doch auch mit!
Ja, selbstverständlich. Das Essen soll auch gut aussehen. Die große Kunst besteht darin, die Balance zu finden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Essen, das zu schön aussieht, oft nicht sonderlich gut schmeckt. Da passiert geschmacklich wenig im Mund, oder, noch schlimmer, man weiß gar nicht, was man gegessen hat. Die Optik darf auf keinen Fall das Produkte überlagern und verfälschen. Dann ist es Food Design.
Sie sind also kein Freund sensorische Inkongruenz.
Nein.
Gleichzeitig spielt die Optik inzwischen, besonders mit Blick auf soziale Netzwerke wie Instagram, eine große Rolle. Wird bei Ihnen im Restaurant eigentlich viel fotografiert?
Handys kann man heutzutage nicht mehr verbieten. Wenn allerdings jemand mit einer riesigen Kamera kommt, weisen wir höflich darauf hin, dass wir kein Fotostudio sind. Das kam jedenfalls schon vor.
Das Produkt, sagen Sie, sei der Star. Woher beziehen Sie Ihr Fleisch?
Von zwei, drei Händlern in der Schweiz und in Deutschland, die ihre Ware wiederum aus Japan bekommen. Japaner sind Qualitätsfanatiker. Wir kaufen Wagyu-Rind nur aus Japan.
Wie teuer ist das Kilo?
Um die 280 Franken. Es ist unheimlich schwer, gutes Fleisch in großen Mengen zu bekommen.
Was ist mit den einheimischen Bauern, sind sie als Lieferanten uninteressant?
Es gibt sicherlich Bauern in der Schweiz, die Fleisch in hoher Qualität liefern könnten, doch letztlich scheitert es an den großen Mengen, die wir benötigen und die die Bauern nicht beständig liefern können. Kontinuität auf einem hohen Niveau ist extrem wichtig. Wagyu-Rind wird ja auch in Europa gezüchtet. Ich halte davon nichts. Es ist wie mit dem schwarzen Trüffel aus dem Périgord. Er ist der beste schwarze Trüffel der Welt, und das hat seinen Grund: Das Klima und der Boden sind eben genau dort und nicht irgendwo sonst perfekt.
Ihre Küche wurde vor wenigen Monaten mit dem dritten Michelin-Stern ausgezeichnet. Haben Sie seither etwas verändert?
Nein, schließlich haben wir eben genau mit dieser Küche drei Sterne erkocht. Wir verfeinern und perfektionieren unsere Gerichte freilich. Natürlich probieren wir auch immer wieder neue Gerichte aus, aber nicht zu oft. Kochen auf einem hohen Level über einen langen Zeitraum ist sehr schwierig. Einen guten Fisch kaufen und braten - das kann jeder. Den Fisch optimal zu garen funktioniert auch noch, aber eine gute Sauce, da wird die Sache schon schwierig. Dass dieser Fisch dann am Ende auch noch super schmeckt und im Gedächtnis bleibt, das ist schon eine sehr, sehr große Herausforderung. Doch genau dies macht den Unterschied aus: Geschmacksmomente, an die man sich erinnert. Machen Sie selbst einmal den Test: Gehen Sie essen, ein Menü, und denken Sie eine Woche später darüber nach, woran Sie sich noch erinnern. War das Essen super, sind es drei, vier Sachen.
Und die Gäste? Ziehen drei Sterne andere Gäste an als zwei Sterne?
Früher hatten wir viele Gäste, die eher zügig zu Mittag gegessen haben. Jetzt kommen vermehrt Gourmets, die mehrere Stunden bei uns bleiben, die die Gastronomie intensiver erleben wollen. Vor ein paar Wochen war übrigens ein Japaner hier, der in allen Drei-Sterne-Restaurants der Welt gegessen hat.
In allen? Wie viele sind es denn?
So um die hundert.
Kommen wir zu den kulinarischen Trends. Der „Back to the Roots“-Trend ist zwar nicht neu, er wird aber bleiben, oder?
Ja. Die Zukunft wird dem Produkt gehören, es soll im Mittelpunkt stehen. Was weiter an Bedeutung gewinnt, ist die Geschmacksrichtung Umami, also herzhaft. Diesen Geschmack behalten die Leute besonders gut im Kopf. Asien ist nach wie vor ein großer Trend.
Was halten Sie vom Skandinavien-Hype, Stichwort „Noma“, das als eines der besten Restaurants der Welt gilt?
Nach der Molekularküche ist diese übersteigerte Natürlichkeit für mich einfach nur die nächste Mode. Ich denke, es ist nicht jedermanns Sache, Gras und Heuschrecken zu essen.
Auf welche Nahrungsmittel würden Sie nur sehr ungern verzichten?
Auf Tomaten, Joghurt, Basilikum und Äpfel.
Die Fragen stellte Melanie Mühl.