Dann sollen sie eben nicht mehr duschen, wenn das Geld knapp ist
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Er weiß, wie sich Armut anfühlt: Christian Baron Bild: Hans Scherhaufer
Was heißt es, in einem reichen Land wie Deutschland in Armut aufzuwachsen? Unser Autor weiß es. Politiker sollten sich ihre wohlfeilen Ratschläge an Betroffene besser sparen. Ein Gastbeitrag.
Je näher die Schlussviertelstunde kam, umso mehr Jungs und Mädchen standen im Lichtkegel der Straßenlaterne. Aus dem Fritz-Walter-Stadion drangen sie dumpf herüber, die Gesänge der Fans in der Westkurve. Es konnte sich nur noch um Sekunden handeln. Jede Bewegung der Ordner hinter dem Zaun zog hektische Schritte der Kinder nach sich. Im Pulk der Wartenden befand auch ich mich. Damals, an diesem Freitagabend im April 1998, war ich zwölf Jahre alt – und seit beinahe ebenso vielen Jahren dem 1. FC Kaiserslautern verfallen, jenem örtlichen Fußballbundesligaklub, der oft dem Spott der Großstädter von München bis Hamburg ausgesetzt war. „Strukturschwache Region“, diesen sperrigen Begriff kannten sogar wir Knirpse. Und fieberten gerade darum mit. Doch mussten wir draußen bleiben. Kein Geld für die Eintrittskarte, kein Zutritt zur Betonschüssel.
Wir kamen uns vor wie Straßenköter, die am späten Abend am Hintereingang eines Restaurants darauf warten, dass ihnen eine der Küchenhilfen die Tür öffnet und sie im Müll wühlen lässt auf der Suche nach essbaren Resten, die den Hunger stillen, für ein paar Stunden zumindest. Unser essbarer Rest, das waren die Filetstücke einer bis dahin perfekten Spielzeit. Denn der FCK war bekannt dafür, in der Endphase besonders oft Siegtreffer zu erzielen. In jener Saison spielte der Klub aus der kleinen Stadt in Rheinland-Pfalz sogar um die deutsche Meisterschaft. Als Aufsteiger. Einmalig. Unfassbar.
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