Im Rekord durch Rüsselsheim : Der Opel, den ihr kennt
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Am anderen Morgen ist das Auto zum Glück noch da. Der Tip eines Opelaners, beim Kaltstart erst das Gaspedal bis zum Anschlag zu drücken, erweist sich als wertvoll. Vor einer Ampel betätige ich unmotiviert den auf der dicken Lenksäule liegenden roten Plastikknopf für die Warnblinkanlage, die tadellos funktioniert, die ich danach aber nicht wieder auskriege. Bei dem Gedanken, so bis Rüsselsheim fahren zu müssen, werde ich hektisch. Ich halte den Knopf fest gedrückt, so dass ich links blinken kann, und dabei würge ich den Motor ab, was bei einem Automatik gar nicht leicht ist. Die hinter mir üben sich in Geduld. Ich starte wieder, der Warnblinker läuft noch, ich schlage mit voller Kraft auf den Knopf: alles wieder gut.
Überbleibsel eines verlorenen Glücks
Ruhig gleite ich nach Rüsselsheim, um das Auto dem Fundus der „Opel Classic Sammlung“ wieder zuzuführen. Die Uhr geht jetzt vierzehn Minuten nach, dafür funktioniert die Tankuhr plötzlich: noch mehr als zwei Drittel voll. Vorsichtig parke ich auf dem Werksgelände und bleibe noch ein bisschen im Auto sitzen, zum Dank, dass es mich so gut hierhergebracht hat. Durch die regennasse Windschutzscheibe sehe ich einen Insignia, Opels neuestes Modell und womöglich letzten Hoffnungsträger, attraktiv zwar, aber irgendwie auch unheiter, verbissen. Alles, was meinen Rekord davon trennt, sind fünfunddreißig Jahre, die nichts als Fortschritt und Wachstum waren. Ich brauche diese fünfunddreißig Jahre nicht, sie können mir gestohlen bleiben, wenn nun sogar schon Horst Köhler das Ende des Wachstums ausruft.
Reden könnte man allenfalls über den Verbrauch. Aber beim Auftanken rechne ich aus, dass es doch nur zehn Liter auf einhundert Kilometer waren. Das Benzin von heute treibt ein Auto von vorgestern problemlos an. Wo, außer bei Ebay, kriegt man für sein Tonbandgerät noch Bänder, wo für seinen Videorecorder noch VHS-Kassetten, welcher alte Kühlschrank könnte den EU-Normen entsprechen? Es ist Technik, die nicht mehr funktioniert. Aber der Rekord, der damals 12.104,56 D-Mark kostete, tut's noch. Doch die Regierung zahlt den Leuten auch noch Geld, damit sie ihre viel jüngeren Autos verschrotten. Galt Opel, und zumal der Rekord, einst als Sinnbild von Spießigkeit, so kann man ihn nun ansehen als Überbleibsel eines verlorenen Glücks.
„Man sollte gar nicht glauben, wie gut man heute ohne die Erfindungen des Jahres 2400 auskommen kann“, sagte Tucholsky 1932. Man sollte auch nicht glauben, wie gut man 1974 ohne die Erfindungen des Jahres 2009 auskam.