Streit um Houellebecq : Alles halb so wild?
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Seine als „brutal“ aufgefassten Äußerungen über Muslime hat Houellebecq nun relativiert - aber wurden Sie zuvor entstellend wiedergegeben? Bild: Picture Alliance
Turbulente Woche für die französische Publizistik: Nach der Strafanzeige von Chems-eddine Hafiz gegen Michel Houellebecq wegen dessen Äußerungen über Muslime lenken beide Seiten ein. Aber es sind noch Fragen offen.
Was längst eine „Affäre Houellebecq“ ist, wandelt sich zum medialen Fortsetzungsmelodram. Die Äußerungen des Schriftstellers im Gespräch mit Michel Onfray in dessen Revue „Front Populaire“ führten Ende Dezember zu einer Strafanzeige von Chems-eddine Hafiz, dem Rektor der Großen Moschee von Paris. Mitte der Woche stieg die Spannung. Es folgte die Wende, und nun scheint alles auf ein Happy End hinauszulaufen.
Der mediale Höhepunkt ist die Mittwochsausgabe dieser Woche von „Le Point“ über „L’affaire Houellebecq“. Der Autor erklärt sich darin selbst und versucht, die vorhergesagten Attentate auf Muslime als erwogene Wahrscheinlichkeiten einzustufen. Die zentrale kritisierte Passage seiner vorherigen Äußerungen – „Der Wunsch der französischstämmigen Bevölkerung, wie man sie nennt, ist nicht, dass sich die Mohammedaner anpassen, sondern dass die aufhören, sie zu bestehlen und anzugreifen“ – will er als Gefühl des französischen Durchschnittsbürgers beim Gang durch dominant muslimische Viertel verstanden wissen.
Sprich: Was im Gespräch mit Onfray noch als gesundes Empfinden der französischen Bevölkerung präsentiert wurde, das Houellebecq teilt, wird nun François Normalbürger angekreidet – besonders das „Amalgam“, also die Vermischung von Religion, Rasse, Extremismus und Kriminalität. Solche perspektivischen Zuschreibungen gelingen Houellebecq im Roman, im öffentlichen Gespräch weniger – zumindest nicht in der „Front Populaire“-Fassung.
Houellebecq nennt eigene Äußerungen „ambivalent“
Indes verteidigt Onfray Houellebecq im Figaro“ mit waghalsigen Argumenten. Er mahnt das Einhalten von Zitierregeln an: Tatsächlich hatte Hafiz im Schreiben, das Anzeige publik machte, in einem Houellebecq-Zitat zwei kurze Satzteile weggelassen – ohne dass der Sinn wesentlich verändert wurde. Auch der angeblich fehlende Kontext verbessert den Gehalt des Zitats nicht, es ist so abwertend wie vom Rektor behauptet.
Es entbehrt nicht der Ironie, dass ausgerechnet der volksuniversitäre Rebell Onfray akademische Formalia vorschützt, um inhaltliche Probleme zu vertuschen. In „Le Point“ ruft er den Rektor zur Debatte statt zur Anzeige auf – und vergisst, dass das Thema ja nicht „der Islam“ war, sondern eine Kollektivverurteilung aller Mohammedaner. „Le Point“ ist fair genug, den Rektor in einem längeren Interview zu Wort kommen zu lassen.
Ebenfalls Mittwoch nimmt die Affäre dann eine interkonfessionelle Wende: Haïm Korsia, Großrabbiner Frankreichs, bietet sich in „Le Figaro“ als Mittler an. Er organisiert für Donnerstagmorgen, neun Uhr, einen gemeinsamen Kaffee mit Houellebecq und Hafiz. Im Anschluss erklärt Houellebecq, die kritisierten Passagen des Gesprächs seien „ambivalent“, er wolle sie für eine zukünftige Buchpublikation vervollständigen, damit sie nicht mehr verletzend für Mohammedaner seien. Daraufhin lässt Hafiz die Anzeige ruhen, will sie aber erst nach Veröffentlichung des finalen Textes zurückziehen.
Das künftige Buch soll das Gespräch zwischen Houellebecq und Onfray, das für „Front Populaire“ offenbar gekürzt wurde, in voller Länge wiedergeben. „Le Figaro“ vom Freitag zitiert neue Passagen daraus, die auf den ersten Blick in der Tat weniger diskriminierend wirken. Sollte sich der Eindruck bestätigen, fragt sich, wer für die auf stramm rechts frisierte Zeitungsfassung des Gesprächs verantwortlich zeichnet.
Houellebecq gibt sich „aufrichtig erleichtert und glücklich“ über den Ausgang; aus Sicht vieler Juristen kann er das sein, seine Chancen, ein Verfahren unbeschadet zu überstehen, standen nicht gut. Er hofft besonders, dass die Versöhnung eine gelassene Debatte über Sterbehilfe ermöglichen werde, in der er viele Standpunkte mit den religiösen Autoritäten teile. Und der Leser?
Der fragt sich, was Houellebecq wirklich denkt, ob er in eine Falle gegangen ist, ob er jetzt, da der Nobelpreis an Annie Ernaux verliehen wurde und ihn so bald kein Franzose mehr bekommen wird, vielleicht einfach Dampf ablassen musste. Beim erneuten Blick in „Front Populaire“ stellen sich weitere Fragen. Offenbar hat das Gespräch sechs Stunden gedauert. Während einer der Pausen wurde gegessen: Ein Foto zeigt den Tisch zwischen Onfray und Houellebecq, mit Tellern, Gläsern, (Bier-?)Dose, einer Flasche korsischen Weins. Haben die zwei Welterklärer schlicht zu tief ins Glas geschaut?