Proteste vor Wiedervereinigung : Es war keine Wende, es war eine Revolution
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Die Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 in Leipzig Bild: Ralf Günther
Was ist da los? Die Friedensrevolution der DDR spaltet die Gemüter. Warum der Streit um die Deutung der friedlichen Proteste dreißig Jahre nach dem Herbst 1989 aufs Neue entbrennt. Ein Gastbeitrag.
Revolutionen sind immer eine Sache von Minderheiten. Die oft wenigen, die sich mit den „Zuständen“, mit Krieg, Unterdrückung, Diktatur oder autoritärer Herrschaft nicht abfinden wollen und können, stehen gegen die Herrschenden auf, die ebenfalls eine Minderheit sind. Aber sie wenden sich auch gegen die Mehrheit ihrer Mitbürger, die entweder zu den Unterstützern der bisherigen Herrschaft zählt oder in missmutiger Loyalität lebt und im Grunde in Ruhe gelassen werden will. So war es bisher nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.
Für die Deutschen galt zudem, dass sie als revolutionsunfähiges oder -unwilliges Volk galten. So hatten Öffentlichkeit, Wissenschaft und Gesellschaft immer wieder Probleme, deutsche Revolutionen wie die von 1848/49, die von 1918/19 oder den Volksaufstand gegen die SED-Diktatur am 17. Juni 1953 ins öffentliche Bewusstsein zu heben oder gar positiv zu bewerten. Dazu kam, dass deutsche Aufstände dazu verdammt schienen, zu scheitern. Jedenfalls hatten sie nie den Glanz wie die Revolutionen der Briten, Franzosen oder Amerikaner.
Und dann kam das Jahr 1989 mit dem vollkommen unerwarteten Ausbruch und Sieg einer Revolution in einem deutschen Teilstaat, dessen Diktatoren so fest im Sattel zu sitzen schienen, dass jedes Aufbegehren gegen sie sinnlos erschien. Dieses Ereignis wurde dadurch noch unglaublicher, dass es sich im kleineren Teil des gespaltenen Deutschlands vollzog und weitgehend unblutig blieb. Das führte zu der Frage, wer dieses grundstürzende Ereignis denn nun zu verantworten hätte und welchen Platz es in der Nationalgeschichte einnehmen würde.
Hier gab es die Vertreter der Theorie, dass das Handeln großer Männer Geschichte mache, und sie nannten den Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, den amerikanischen Präsidenten und sogar den Kanzler der Bundesrepublik. Andere meinten, es wäre keine Revolution gewesen, da ja kaum Blut geflossen war, stattdessen sei die Diktatur implodiert, also wie eine plötzlich dem Sonnenlicht ausgesetzte Mumie zu Staub zerfallen. Dazu kam, dass die Deutungshoheit über die revolutionären Ereignisse weitgehend in den Händen Westdeutscher lag und dass die Revolutionäre selbst sich scheuten, sich als solche zu bezeichnen. Das machte auch die Karriere des nichtssagenden Begriffs der „Wende“ erst möglich, den der letzte Generalsekretär der Diktatur-Partei SED geprägt hatte, um die eigene Politik zur kommunistischen Herrschaftssicherung allgemein verwendbar zu beschreiben.
Es hat Jahre gedauert, diesen Begriff zurückzudrängen und durch den allein richtigen – Revolution – zu ersetzen. Das 30. Jubiläum dieser friedlichen Freiheitsrevolution wird in diesem Herbst und im kommenden Jahr begangen und hoffentlich auch gefeiert werden. Der Streit um ihre Geschichte ist jedoch nicht zu Ende, und er wird zumindest im Moment ganz wesentlich zwischen Ostdeutschen, so in dieser Zeitung zwischen dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und dem Religionssoziologen Detlef Pollack geführt – und er bleibt auch nicht auf der wissenschaftlichen Ebene, sondern ist auf die der persönlichen Vorwürfe und Kränkungen geraten. Man könnte hier vermuten, dass es um eine Umschreibung der Revolutionsgeschichte geht, die seit den Veröffentlichungen zum 20. Jahrestag von „89“ 2009 auf einer soliden Grundlage steht. Allerdings hat die Kontroverse auch den Vorteil, dass im Vorfeld des Jahrestags aufs Neue eine Diskussion beginnt, die hoffentlich zu mehr Klarheit und im Einzelnen zu neuen Einsichten führt.