Das ehrlichste aller Gefühle
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Demonstration in Leipzig, November 2022: „Ami go home“, brüllen die Teilnehmer. Bild: dpa
Wie entsteht der Hass? Wissenschaftler erforschen eine Emotion, die sich weltweit immer deutlicher zu zeigen scheint.
Würde man zu einem Jahresrückblick der Gefühle ansetzen, wäre klar – die Emotion, die das Jahr 2022 beherrscht hat, war der Hass. Am deutlichsten zeigte er sein hässliches Gesicht im Ukrainekrieg. Die Gräueltaten beim Massaker in Butscha zeugten nicht nur vom Hass der russischen Angreifer, sondern beschworen noch in der Ferne, in uns, den Gegenhass. Aber auch alltäglichere Diskurse werden in einer ungekannten Emotionalität geführt: Ob es um Corona-Maßnahmen, Gender-Sprache, Neun-Euro-Ticket oder Meghan Markle ging, der gesellschaftliche Diskurs explodierte 2022 häufig und unerwartet. Welche Ursachen dieser Hass hat und wie man ihm gesellschaftlich entgegenwirken könnte, darüber rätseln auch Wissenschaftler.
„Wahrer Hass“ heißt das Forschungsprojekt des Soziologen Olaf Jann von der Universität Siegen und des Politikwissenschaftlers Veith Selk. Inspiriert wurden sie von der These, dass der Hass das authentischste aller Gefühle sei. Liebe könne vorgespielt werden, Freundlichkeit bewusst eingesetzt. „Wenn aber jemand sagt ‚Ich hasse dich‘, so ist das in der Regel ernst gemeint.“ Das mag auch daran liegen, dass Hass nur unangenehme Folgen hat. Er ist das negativste aller Gefühle, das nur nach der Vernichtung des Hassobjekts strebt. Obwohl diese destruktivste Leidenschaft zweifelsohne zum Menschsein gehört, gewissermaßen zur emotionalen Grundausstattung, zählen Psychologen Hass nicht zu den Basisemotionen, die der Theorie nach angeboren sind.
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