Debatte um Hans Robert Jauß : Rückschau bringt Dämonen hervor
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Hans Robert Jauß Bild: Enno Kaufhold
Die Debatte um den Literaturwissenschaftler und SS-Hauptsturmführer Hans Robert Jauß ist abermals entbrannt. Neue Bücher versuchen, seine doppelte Karriere zu verstehen.
Wann es „genug“ ist mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, lässt sich nicht dekretieren, doch sicherlich gibt es viel Raum für Blamage. Helmut Kohl etwa tappte in eine Fettwanne, als er 1984 in Israel von der „Gnade der späten Geburt“ sprach und schon die biologische Lösung des deutschen Schuldproblems vorwegnahm. Martin Walser wiederum vergriff sich, als er es 1998 bei seiner Friedenspreisrede in der Paulskirche riskierte, die „Dauerpräsentation unserer Schande“ zu beklagen. Zu eilig, zu früh.
Auch der Fall Hans Robert Jauß kommt nicht zur Ruhe. Der deutsche Romanist, geboren 1921, hatte es im „Dritten Reich“ zum SS-Hauptsturmführer der Reserve gebracht. Hätte Jauß in der Bundesrepublik eine wenig beachtete Existenz geführt, wäre seine Waffen-SS-Biographie vermutlich in Ruhe gelassen worden und mit seinem Tod 1997 anonym abgelegt worden wie die so vieler Täter. Aber er wurde berühmt, sehr berühmt: als Mitbegründer der Universität Konstanz und weltweit geachteter Vertreter der „Rezeptionsästhetik“. Sein Sturz war umso tiefer.
„Stimmige SS-Karriere“
Hinweise auf seine Beteiligung an Kriegsverbrechen der SS-Verbände kursierten schon in den achtziger Jahren, und als der Skandal 1996 auch in der Bundesrepublik ankam, war der Schaden nicht mehr zu reparieren. Wissenschaftsvereinigungen tilgten seinen Namen; die Zitierkartelle schlossen den Star aus und sprengten damit auch die letzten Reste seines Theoriegebäudes. Während einige seiner akademischen Schüler Versuche der Ehrenrettung unternahmen, distanzierten sich andere, und leise ging weder das eine noch das andere ab. Als vorletztes Jahr im Audimax der Universität Konstanz Gerhard Zahners Theaterstück „Die Liste der Unerwünschten“ aufgeführt wurde, das eine Mitschuld von Jauß an der Deportation französischer Kriegsfreiwilliger ins KZ Stutthof suggeriert, kochte der Skandal wieder hoch. Die Uni Konstanz tat das einzig Vernünftige: Sie gab eine historische Dokumentation in Auftrag, die erfreulich schnell abgeschlossen und anschließend online publiziert wurde.
Der Potsdamer Historiker Jens Westemeier kommt darin zu einem klaren Ergebnis. Jauß sei kein Mitläufer gewesen, sondern habe eine „stimmige SS-Karriere“ absolviert und belastende Punkte seiner Biographie vertuscht, darunter auch einen SS-Einsatz in Kroatien. Sein Bataillon sei unter anderem im Partisanenkrieg eingesetzt gewesen, habe dort sogenannte „Sühnemaßnahmen“ durchgeführt – im Klartext: Menschen liquidiert – und Kriegsverbrechen begangen. Als Kompanieführer, so Westemeier, habe Jauß dafür Mitverantwortung getragen. Seine individuelle Tatbeteiligung sei zwar nicht nachzuweisen, „es ist jedoch völlig ausgeschlossen, dass Jauß von den Verbrechen keine Kenntnis hatte“.
Das Kolloquium als mobile Kampftruppe
Jauß’ glänzende akademische Rolle, die mit dem entsprechenden Netzwerk und großem Einfluss einherging, ist schon öfter im Licht seiner Nazi-Vergangenheit betrachtet worden. Das Leben des Hermeneuten wurde selbst zum Buch, das der entziffernden Mitarbeit der Nachwelt bedurfte, sich aber gegen jede abschließende Wertung sperrte, weil es Leerstellen aufwies oder bewusst umgeschrieben worden war. Jetzt will der Potsdamer Romanist Ottmar Ette mit zwanzigjähriger Verspätung den Schlüssel zu dieser vertrackten Rezeptionsästhetik gefunden haben.
Im Berliner Marc-Bloch-Zentrum stellte er seine Studie „Der Fall Jauß – Wege des Verstehens in eine Zukunft der Philologie“ (Kadmos Verlag) vor. Von einer „Hermeneutik des Verschweigens“ und einer „Hermeneutik des Verdrängens“ ist darin die Rede. Das erste Leben des Autors, die SS-Karriere, habe sich auf das akademische Leben „durchgepaust“ und es entscheidend geprägt. Bis in die Sprache hinein. Von „Kampf und Sieg“ sei in Jauß’ innerstem Machtzirkel in Konstanz oft die Rede gewesen: das Kolloquium als mobile Kampftruppe. Auch Jauß’ Schreiben sei nicht ohne martialische Rhetorik ausgekommen. Das Publikum durfte in Gedanken ergänzen: Was soll man von einem schneidigen SS-Hauptsturmführer der Reserve auch anderes erwarten? „Die Rezeptionsästhetik“, schreibt Ette in seinem Buch, „wurde zu einer Machine de guerre.“