Vorwürfe gegen „Brücke“-Maler : Postkoloniale Selbstgerechtigkeit
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Die moderne Kunst wird wieder einmal zum Sündenbock gemacht. Sie wird mit Kolonialismus und Rassismus in eins gesetzt. Ein Beitrag des ZDF macht bei diesem „Wokeism“ feste mit.
Die „Wokeism“ genannte Neuauflage politischer Korrektheit verbreitet sich so rasant wie das Omikron-Virus, und das öffentlich-rechtliche Fernsehen trägt aktiv dazu bei. Damit ist nicht der Schluckauf beim Gendern gemeint, der das umständlichere *Innen ersetzen soll, obwohl gerade Nachrichtensprecher mit so etwas sprach- und stilbildend wirken. Gemeint ist hier das „heute-journal“ vom 29. Dezember, das mit einem Beitrag über die Ausstellung der Brücke-Künstler im Berliner Brücke-Museum endete. Das Wort „Beitrag“ klingt allzu neutral, denn es handelte sich um eine aggressive, ja vernichtende Polemik gegen die künstlerische Avantgarde, die am Vorabend des Ersten Weltkriegs Klassizismus und Akademismus verwarf und sich für „exotische“ und „primitive“ Kulturen begeisterte: von Masken aus Afrika und Skulpturen aus Ozeanien in den Studios von Picasso und Braque, die bei der Entstehung des Kubismus Pate standen, bis hin zum Atelier des Brücke-Malers Ernst Ludwig Kirchner, das, vollgestopft mit Kolonialkunst, einer Völkerschau glich.
Angefangen hatte alles mit Paul Gauguins Aufenthalt in Tahiti, der zeitlich zusammenfiel mit dem Japonismus: Das zuvor hermetisch abgeschottete Japan öffnete seine Grenzen und trug mit Farbholzschnitten von Hokusai und anderen entscheidend zur Kunst des Impressionismus bei. In Gauguins Fußstapfen tretend, reisten Emil Nolde und Max Pechstein nach Neuguinea beziehungsweise Palau – im Auftrag des Reichskolonialamts, das, weniger borniert als sein oberster Dienstherr (Kaiser Wilhelm II., der kitschige Historienschinken bevorzugte), damit umstrittenen Malern zu Anerkennung und Durchbruch verhalf.
Geburt der modernen Kunst als Sündenfall
Glaubt man den Kuratoren und Kommentatoren der auch in Kopenhagen und Amsterdam gezeigten Brücke-Ausstellung, war die Geburt der modernen Kunst ein Sündenfall, ein moralisches Desaster, das nach neuen Wegen suchende Künstler zu Komplizen der Kolonialherrschaft werden ließ. Und vom Vorwurf, sich nicht klar vom Kolonialismus distanziert zu haben, ist es nicht weit zum Totschlagargument des Rassismus, das jede Widerrede zum Schweigen bringt.
Diese Argumentation ist mehr als fahrlässig: Als Scharnier dient der schwammige Begriff „Raubkunst“ – schwammig wörtlich wie auch im übertragenen Sinn, da die expressionistischen Maler ja nicht nur Artefakte, sondern auch künstlerische Verfahren von deren Erfindern „stahlen“. So besehen ist alles Raubkunst, ein Schlagwort, das den Prozess der Entlehnung oder Inspiration durch Elemente fremder Kulturen unter Pauschalverdacht stellt: Dass die Griechen von den Ägyptern, die Römer von den Griechen lernten, war demnach kein Kulturaustausch, sondern Diebstahl.
Anstelle der Unschuldsvermutung tritt die Devise „in dubio contra reum“, besonders wenn es sich um alte, weiße Männer handelt. Dass die moderne Kunst, nicht bloß die der Expressionisten, die Gesellschaft ihrer Zeit und damit auch die Kolonialherrschaft radikal in Frage stellte, kommt den selbstgerechten Anklägern nicht in den Sinn: So wenig wie die Tatsache, dass schon Nationalsozialisten wie Stalinisten ebenjene Kunst, der die Nachgeborenen nun die Legitimation absprechen, als dekadent oder reaktionär verfolgten und verboten. Dass Künstler sich mit den Opfern des Kolonialsystems, „Wilden“ und „Primitiven“, identifizierten und deren Kultur der europäischen vorzogen, widerlegt den Vorwurf des Rassismus, wie ein Brief Emil Noldes aus Neuguinea vom März 1914 zeigt: „Mit bestem Wissen und Wollen sucht der weiße Mann den Kult und das Selbstbewusstsein der Urmenschen zu untergraben . . . In zwanzig Jahren ist alles verloren an primärer Geistigkeit, die wir so leichtsinnig und schamlos vernichten. Die Urmenschen leben in der Natur . . ., und ich habe zuweilen das Gefühl, als ob nur sie noch wirkliche Menschen sind, wir aber verbildete Gliederpuppen, künstlich und voll Dünkel.“
Dass Nolde sich später den Nazis andiente, hat ihn vor der Einstufung als entartet samt Malverbot nicht bewahrt. Die postkolonialen Kritiker aber ignorieren den historischen Kontext der Kunst und verfälschen deren Geschichte, indem sie die Titel von Zeichnungen und Gemälden verändern und umschreiben im Sinne politischer Korrektheit von heute, die hoffentlich bald der Vergangenheit angehört.
Hans Christoph Buch ist Schriftsteller und lebt, wenn er nicht auf Reisen ist, in Berlin. Sein Buch „Nächtliche Geräusche im Dschungel – Postkoloniale Notizen“ erscheint demnächst im Transit Verlag.