Großbaustelle Frankfurt : Stümper des Städtebaus
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Dauerrotation: Frankfurts Bauen wirbelt im Sog kurzgesteckter Ziele Bild: Müller, Verena
Das Auf und Ab der Frankfurter Architektur folgt unseliger Tradition. Doch die heutige Verhunzung übertrifft noch den zerstörerischen Wiederaufbau. Ein Gang durch die Baustellen der City.
Mehr als vierhundert Jahre hat der Torbogen überdauert, hat Stadtbränden und Kanonenkugeln getrotzt, den Bomben des Zweiten Weltkriegs und den Abrissbirnen der Wiederaufbauer. Frankfurts aktueller Bauwut entging er nicht: Als 2010 das Altenheim „Sankt Leonhard“ abgerissen wurde, brach man ihn ab. Nur der Treppenturm, an den der Bogen anschloss, blieb stehen. 1952 als Rest des prächtigen Renaissancehofs „Zum Prinzen Carl“ in das Altenheim einbezogen, wird er nun Schmuck des neuen „Lebenshauses“, das der katholische Wohlfahrtsverband am Westrand der ehemaligen Altstadt vom Büro GHP hat bauen lassen.
Den Bogen hätte einzig die Achtung vor dem Wert und der Schönheit historischer Baukunst retten können. Doch die ist bei hiesigen Bauherren nur noch rudimentär vorhanden. So steht jetzt der amputierte Treppenturm, verstärkt von Betoneinspritzungen, auf einer neuen Tiefgarage, umgeben von einem weiten Hof und dem L-förmigen Neubau. Weite Glastüren und -fenster, dunkelgraue Metallbalkone und Loggien, Flachdach – alles so steril freundlich wie die „Sachsenklinik“ in Deutschlands beliebtester Klinikserie
Was von Altstadthöfen übrig ist
Die Erbauer des „Lebenshauses“, das konfessions- und generationenübergreifendem Wohnen dient, hatten einen Blick fürs Soziale, aber keinen für die Besonderheit des Orts: Im Gedächtnis sind noch der intime Garten, der dem Hof weichen musste, das feingliedrige Altenheim und ein schmaler Verwaltungstrakt, der, verziert mit einem für die fünfziger Jahre typisch zaghaft modernen Farbmosaik, das Areal zur Straße begrenzte. Man ging gern hierher, neidete manchmal den Bewohnern die Geborgenheit, spürte, was die Altstadthöfe wohl einmal waren.
Nun sprengt der Neubau die Dimensionen des gesamten Viertels. Ebenso der parallele Verwaltungstrakt, der hofseitig Büroraster wie von Kafka bietet und zur angrenzenden romanischen Leonhardskirche hin mit Spitzgiebeln und Kastenerkern Altstadt andeutet. Gut gemeint, aber zu indifferent und zu groß. Das gilt auch für den benachbarten Rohbau eines Apartmenthauses. Er bedrängt St. Leonhard, bleibt nur knapp unter der Firstlinie des Gotteshauses, das achthundert Jahre lang die Dominante des Viertels war.
Keine Bars, keine Bewohner, keine Bücher
Nachverdichtung? Die aufdringliche Größe beider Neubauten bringt nicht das einstige filigrane Gewinkel zurück, sondern ist gestalteter Drang nach Zusatzflächen. So wurde die Chance verschenkt, mit maßstabsgerechter Architektur an die einstige Altstadt, aber auch an die Struktur der fünfziger Jahre anzuknüpfen.
In dem Viertel sind kaum Passanten, weder Läden noch Restaurants oder Cafés. Auch von den Bewohnern ist nichts zu sehen. Ehemals, woran der Name „Buchgasse“ erinnert, herrschte hier das Treiben von Verlegern und Kunsthändlern. Der Wiederaufbau, der alles besser machen wollte, schuf ein Wohngetto.