Was Google Maps ausradiert : Mit dieser Weltkarte stimmt etwas nicht
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Sehenswert: Ein „Google Tracker Man“ filmt für die Bild- und Kartendienste des Konzerns. Bild: AFP
Google Maps weist eigens „areas of interest“ aus. Was steckt dahinter? Geht es um Sehenswürdigkeiten oder ums Geschäft? Und warum lassen sich viele Dinge auf der Karte gar nicht finden?
Karten waren stets Ausdruck von Macht. Herrscher steckten mit ihnen Territorien ab. Heute markieren Tech-Konzerne wie Google ihre Gebietsansprüche auf digitalen Karten. Google schickt regelmäßig seine Streetview-Autos aus, um die Straßen bis auf die Hausnummer genau zu kartieren. Als Google 2012 die Bezeichnung „Persischer Golf“ strich, gab es Proteste aus Teheran. „Wenn Google nicht umgehend seinen Fehler berichtigt, werden wir offiziell Klage einreichen“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums. Durch Zuschreibung übt der Netzkonzern politische Macht aus.
Vor einigen Tagen hat Google ein Update des Kartendiensts Maps veröffentlicht: Straßenumrandungen werden beseitigt, hier und da ein paar Linien begradigt, eine veränderte Typographie und blassere Farben sorgen dafür, dass die Karten aufgeräumt wirken. Vermutlich wären die Änderungen kaum jemandem aufgefallen, hätte Google nicht eigens darauf hingewiesen und hätten nicht ein paar Blogs die Meldung aufgegriffen. Dabei ist die entscheidende Änderung nicht optischer, sondern technischer Natur: Mit Hilfe eines Algorithmus werden Gegenden mit hoher Restaurant-, Café- und Kneipendichte als „areas of interest“ mit einem orangefarbenen Fleck markiert. So widmet Google Sehenswürdigkeiten zu „areas of interest“ um. Die Überschrift „Mit Google Maps die interessanten Ecken finden“, die das Online-Portal „Golem“ zum Thema wählte, geht freilich fehl – die „areas of interest“ betreffen zunächst Googles Geschäftsinteressen.
Was Google auf „Maps“ anzeigt, ist – wie die Suchtreffer in Search – selektiv. Das stadtbekannte New Yorker Restaurant „Los Chuzos y Algo Mas“ war zum Beispiel lange nicht verzeichnet, worüber sich der Besitzer heftig in der Presse beschwerte. Das Problem: Wenn man nicht in Google Maps verzeichnet ist, existiert man faktisch nicht und fristet im besten Fall ein digitales Schattendasein. Wer blättert noch in den Gelben Seiten, um ein Restaurant zu finden? 97Prozent aller amerikanischen Internetnutzer schauen nach Angaben von Google online nach lokalen Produkten und Dienstleistungen. Man sucht auf Yelp, Trip Advisor oder eben Google Maps nach Bars und Restaurants.
Nun gibt es keine „wahre“ Karte. Jede Karte ist insofern selektiv, als sie nur einen Ausschnitt der Realität abbildet und sich auf bestimmte Aspekte fokussieren muss. Doch die Welt ist nicht mehr statisch wie im Mittelalter, sondern hoch dynamisch. Jede Suchanfrage kann die Repräsentation eines Orts verändern. Der Geograph Matt Zook von der University of Kentucky fand etwa heraus, dass Leute, die auf Google Maps nach „Abtreibung“ suchten, nicht zu einer Abtreibungsklinik, sondern zu Organisationen gegen Abtreibung geleitet wurden. Google macht mit einer Modifizierung seines Algorithmus Dinge sichtbar oder unsichtbar oder streicht sie gleich ganz von der Landkarte, die eine Milliarde Nutzer aufrufen. Google macht nicht nur militärische Sperrzonen oder Flugbasen unkenntlich, sondern auch Nationalparks wie Tantauco National Park in Chile. Wann hatte ein Konzern so viel Macht?
Der Kartograph Justin O’Beirne hat Google Maps mit Apples Kartendienst Apple Maps verglichen (im Juni, vor dem Update). Er kommt zu dem Ergebnis, dass das Grundraster beider Kartendienste zwar fast identisch ist, die Beschriftungen jedoch höchst unterschiedlich sind. Im Schnitt haben die Dienste nur 24 Prozent der Beschriftungen gemeinsam. Je stärker man in die Karte hineinzoomt, desto deutlicher treten die Unterschiede zutage. Während Google auf demselben Zoomniveau den Bundesstaat Connecticut beschriftet, hebt Apple die Stadt New York hervor. Verblüffend ist, dass weder Google noch Apple Maps das Viertel Chinatown in San Francisco verzeichnet haben, obwohl dies in ihrem Hinterhof liegt. Zwar handelt es sich bei Chinatown um keinen offiziellen Stadtdistrikt. Doch das Viertel gilt unter Touristen als beliebter Treffpunkt.
Es drängt sich der Verdacht auf, dass Google seine Nutzer „nudgen“, also ihnen einen Schubs geben und zu Geschäften lotsen will, die für ihre digitale Präsenz bezahlen. Es ist im Grunde eine Umwertung von Sehenswürdigkeiten: Sehenswert ist nicht mehr, was Kultur und Geschichte repräsentiert, sondern was Geld bringt. Inzwischen ist eine ganze Industrie entstanden, die sich auf die Optimierung lokaler Suchmaschinentreffer spezialisiert hat. Die australische Firma seoWorks bietet für 2490 US-Dollar ein „Google My Business“-
Paket an, mit dem das Geschäft in Google Maps gefördert wird: durch wohlwollende Bewertungen, Stichwörter in der Suchmaschine und ansprechende Bilder. Wer heute erfolgreich sein will, muss bei Google Maps vertreten sein. Es steckt aber auch eine politische Dimension dahinter: Karten waren, wie der Historiker Thomas Tippach schreibt, historisch gesehen mit Blick auf den Staatsbildungsprozess „ein unverzichtbares Mittel zur konkreten Herrschaftsausübung nach innen“. Diese Aufgabe führt nun Google aus. Und im Google-Land bestimmt der Konzern allein, wer wo auftaucht.