Gewalt um Paris : Was aus Sarkozys Worten erwuchs
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Innenminister Sarkozy mit jungen Leuten aus Clichy-sous-Bois Bild: Reuters
Daß die spontanen Gewaltakte der brennenden Autos und zertrümmerten Scheiben, die innerhalb weniger Nächte von Clichy auf andere Pariser Vororte übergriffen, nicht neu sind, ist gerade das Alarmierende an der Sache.
Ist das französische Modell gesellschaftlicher Integration, das Herzstück alles republikanischen Zusammenlebens, in die Endphase seiner Existenz getreten? Vor zwei Jahren erst ist mit der breitgeführten Kopftuchdebatte in einer Art Ritualakt das Grundprinzip der Republik bestärkt und das neu erörtert worden, was sich auch in Deutschland unter dem unglücklichen Begriff der „Leitkultur“ meldet: hier das Gemeinsame, dort das Trennende, dazwischen die verbindlichen Regeln des Umgangs miteinander im Staat. Und nun flammen die Auseinandersetzungen von ganz anderer Seite als von hitzköpfigen Muslimen oder obskuren Terrorgruppen schon wieder empor.
Daß die spontanen Gewaltakte der brennenden Autos und zertrümmerten Scheiben, die innerhalb weniger Nächte von Clichy auf andere Pariser Vororte übergriffen, nicht neu sind, sondern sich seit fünfzehn Jahren periodisch wiederholen, ist gerade das Alarmierende an der Sache. Der Staat mit dem theoretisch am besten ausgefeilten Konzept zur zeitgenössischen Vielkulturengesellschaft bekommt, ob von links oder von rechts regiert, die Realität nicht in den Griff.
Es ging nicht mehr um Schmutz, sondern um Personen
Das Problem liegt beim Umgang mit den Symbolen. Und die Symbolik beginnt mit der Wortwahl. Der Weg zu den jüngsten Ausbrüchen läßt sich mit einer Reihe semantischer Akzentverschiebungen nachzeichnen. Anläßlich eines tragischen Zwischenfalls unter Vorstadtbewohnern brachte Innenminister Sarkozy im vergangenen Sommer das Stichwort des „Kärcher“ ins Spiel und verhalf damit einem Markennamen der Hochdruckreinigung unverhofft zu einem Platz im politischen Vokabular.
Straßenschlachten : Paris kommt nicht zur Ruhe
Daß der Minister auf diese Weise die Vorstädte von Gewalt säubern wollte, wurde im Land eher belustigt als verstimmt aufgenommen - entfernt werden mit diesem Instrument ja Schmutzränder, nicht Menschen. Als er jedoch bei der Visite eines Polizeireviers in der vergangenen Woche von Jugendlichen beschimpft und beworfen wurde, ging es in seiner Reaktion nicht mehr um Schmutz, sondern um Personen. Er werde sie von diesen „Gaunern“ und diesem „Pack“ - „voyous“, „racaille“ - befreien, rief der Minister den umstehenden Quartiersbewohnern zu, deren eigene Kinder mitgemeint waren.
Die Randalierergruppen sind wieder dort, wo sie hinwollten
Die jüngsten Unruhen haben mit dieser Wortwahl unmittelbar nichts zu tun, sie sind die Eskalation eines beinah schon alltäglichen Nervenkriegs zwischen kleinen Jugendbanden und der Polizei infolge eines Zwischenfalls, bei dem unter noch ungeklärten Umständen zwei Jugendliche ums Leben gekommen sind. Dennoch können Wortwahl und Ereignisverlauf in ihrem gegenseitigen Medienecho nicht getrennt voneinander gedacht werden.
Das Unbehagen über die verbale Disproportion in Sarkozys Worten ist bis in die bürgerlichen Wählerkreise hinein spürbar. Kernige Rede ist in der Politik eine Frage von Fingerspitzengefühl. Einer von Sarkozys Vorgängern, Jean-Pierre Chevenement, benutzte in vergleichbarem Zusammenhang vor Jahren das Wort „sauvageons“, in dem der Gedanke von Wilden mitklang, zu dem der Minister aber auf der Stelle die exakte Begriffsbestimmung nachliefern konnte: unveredelte Sprößlinge, die wenig Frucht bringen. Dank der unbedachten Ausdrücke Sarkozys sind die Randalierergruppen aus den Vorstädte wieder dort angekommen, wo sie immer hinwollten - in den Medien.
Allnächtlich mit Feuer neu beschrieben
Daß sie mit Vorliebe Polizei- und Feuerwehrautos, Postämter und notfalls auch Schulen angreifen, hat nichts mit politisch artikulierter Staatsfeindschaft zu tun. Es ist vielmehr der Preis, den die Republik für ihre stolz proklamierte, manchmal nur behauptete Allgegenwart in sämtlichen Lebensbereichen zu zahlen hat. Die Krawallmacher brauchen ein breit auffahrendes Gegenüber, nicht nur ein paar Polizeieinheiten, um darauf wie auf eine Bildfläche ihren frustrierten Aktivismus zu projizieren. Seit einigen Jahren war die Staatsmacht durch kleine Quartierspolizeieinheiten und andere Maßnahmen so nah an die Vorstadtrealität herangerückt, daß diese Projektionsfläche erheblich schrumpfte. Dank des verbalen Konfrontationskurses Sarkozys ist sie nun plötzlich wieder groß und wird allnächtlich mit Feuer neu beschrieben.
Das wird im Land nicht panisch, wohl aber mit Sorge aufgenommen. Das französische Integrationsmodell hat nicht versagt, es entrichtet aber den hohen Tribut einer Ambition, die landesweit Gleichheit will und quartierweit manchmal Ungleichheit schafft. Daß in einem Viertel nun nicht mehr nur Staatsinstitutionen in Flammen aufgingen, sondern auch ein Café brannte, wird von manchen beinah schon mit Erleichterung registriert. Es gilt als Hinweis dafür, daß der politische Wind bald schon aus der Sache heraus sein könnte und die weiteren Ereignisse dann in der Rubrik gewöhnliche Kriminalität verbucht würden. Dafür müßte die Staatsmacht aber mit mehr Geschick vorgehen - und ob sie dazu noch in der Lage ist, zieht eine wachsende Zahl von Franzosen in Zweifel.