Studie zum Computerwissen : Wir vergeuden das Potential einer ganzen Schülergeneration
- Aktualisiert am
Ein zu seltenes Bild: Schüler arbeiten im Unterricht am Computer Bild: Picture-Alliance
Eine internationale Studie über das Computerwissen von Zwölf- bis Dreizehnjährigen sorgt bei FAZ.NET für Diskussion. Studienleiterin Birgit Eickelmann antwortet auf die wichtigsten Punkte.
Die internationale Studie ICILS untersucht das Computerwissen von Achtklässlern - mit teils beunruhigenden Ergebnissen für die deutschen Zwölf- bis Dreizehnjährigen, ihre Kompetenzen und ihre Möglichkeiten, diese zu erwerben.
Der Bericht zur Studie wird bei FAZ.NET stark diskutiert. Wir haben die wichtigsten Punkte der Diskussion mit der Schulforscherin Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn besprochen, die zusammen mit dem Schulentwicklungsforscher Wilfried Bos von der Technischen Universität Dortmund die nationale Studie geleitet hat.
Frau Eickelmann, Ihre Studie hat Computerwissen von Achtklässlern erhoben und kommt zu Prognosen ihrer späteren beruflichen, gesellschaftlichen Teilhabe. Es geht also nicht um Informatik in Ihrer Studie, sondern um Alltagskompetenzen. Worum genau?
Es geht darum, wie Jugendliche mit neuen Technologien selbstbestimmt, sachgerecht und sozial verantwortlich handeln. Vor allem geht es uns um den Bereich des Sammelns, Organisierens und des Austauschs von digitalen Informationen.
Was antworten Sie auf die Unterstellung, die Studie sei interessengelenkt, ganz im Sinne einer mächtigen IT- oder Digitalisierungslobby?
Ich bin Schulforscherin. Uns geht es in dieser Studie, die wie die Schulleistungsuntersuchungen Iglu und TIMSS auch von der -Studie von der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA) entwickelt wurde, darum zu fragen, welche Kompetenzen Schüler im 21. Jahrhundert brauchen. Der Umgang mit Informationen ist dabei eine fächerübergreifende Schlüsselkompetenz, etwas, das die Kinder und Jugendlichen brauchen: einmal fürs spätere Leben und für die gesellschaftliche Teilhabe, aber auch schon jetzt. Außerschulisch arbeiten sie sehr viel mit digitalen Medien arbeiten, in großem Kontrast zur Schule, und da brauchen sie diese Kenntnisse. Wirtschaftliche oder industrielle Interessen stecken überhaupt nicht hinter der Studie, es geht nur um die Frage, was sind 21st Century Skills, und wie ist der Kompetenzstand. Die Frage, in welchen Bereichen wir unsere Heranwachsenden ausbilden müssen, kommt erst danach.
Erst einmal stellen wir fest, dass wir in Deutschland gerade ein Drittel der Schüler auf dem Weg in die Informations- und Wissensgesellschaft vollkommen verlieren, und dass wir uns den Luxus erlauben, das Potential einer ganzen Schülergeneration zu vergeuden. Weniger als zwei Prozent erreichen die höchste Kompetenzstufe, etwa ein Viertel der Schüler die Kompetenzstufe vier. Die könnte man als Bildungsziel setzen: das sichere Umgehen mit und die selbständige Verarbeitung von Informationen, das selbständige Erstellen von Informationsprodukten. Das gelingt allen anderen Schülern nicht. Drei Viertel aller Schüler können nicht eigenständig eine Präsentation oder ein Dokument adressatengerecht erstellen. Da ist Handlungsbedarf. Das ist ein Bildungsauftrag. Dies ist eine Bildungsstudie und von keinen weiteren Interessen geleitet.
Gleichwohl hat sie zu alarmierenden Ergebnissen geführt.
Wir sehen, dass wir in Deutschland international an verschiedenen Stellen den Anschluss verloren haben. Unsere Lehrer nutzen weit unterdurchschnittlich digitale Technologien im Unterricht. Das ist, ganz wichtig, keine Lehrerschelte. Die Lehrer, die gern neue Technologien nutzen würden, finden im Moment gar nicht die geeigneten Rahmenbedingungen vor, die ein modernes Lehren und Lernen ermöglichen würden. Das ist der eigentliche Skandal an der Studie.
Nun könnte man meinem. Es genügten vielleicht ein paar Tage, um sich das alltagsrelevante Computerwissen anzueignen, eine Einbindung in den Unterricht wäre unnötig. Worin liegt die Bedeutung der Einbezugs?
Dann würden die Schüler ja deutlich höhere Kompetenzen erreichen. Die Digital Natives sind nicht automatisch diejenigen, die digital kompetent sind. Und ein noch wichtigerer Aspekt der Studie: Bestimmte Schülergruppen verlieren wir auf dem Weg in die Wissensgesellschaft. Schüler, die sich das nicht selbstständig aneignen können, die nicht in Kontexten aufwachsen, die diese Entwicklungen ermöglichen. Es gibt eine starke Koppelung zur sozialen Lage der Schülerfamilien. Wir sortieren im Moment bestimmte Kinder und Jugendliche systematisch aus, und sie haben außerhalb des Schulsystems keine Chancen, sich das selber draufzuschaffen. Das macht die These, die Sie gerade genannt haben, hochgefährlich.
Der alltägliche Umgang mit Smartphones, Computerspielen, Sozialen Netzwerken hat also mit Kompetenz erst einmal nicht viel zu tun?
Wir wissen, dass ein Drittel der Achtklässler gerade einmal in der Lage ist, einen Link anzuklicken, allenfalls noch, eine Datei zu speichern. Da kann man ja nicht von einem kompetenten Umgang mit neuen Technologien sprechen. Das Schreiben von WhatsApp-Nachrichten oder das Posten von Facebook-Nachrichten hat ja mit kompetentem Umgang mit neuen Technologien nichts zu tun. Dass wir Informationen selektieren, dass wir sie richtig bewerten, dass wir sie einordnen und ihre Tragweite erfassen können, das ist ein großes Stück Arbeit. Das erreicht man nicht, indem man hundert WhatsApp-Nachrichten am Tag schreibt.
Wäre es überspitzt zu sagen, dass die ganzen digitalen Kommunikations- und Unterhaltungsangebote die Jugendlichen zum Teil sogar digital entmündigen, weil sie sie aus der Pflicht nimmt, sich mit den Dingen auskennen zu müssen?
Kaum einer weiß ja, dass hinter einem kostenlosen Angebot immer irgendwelche Interessen stecken. Das ist etwas, dass man Kindern und Jugendlichen durchaus beibringen muss. Das steht jetzt nicht im Fokus der Studie, aber diese Angebote, auf die Kinder und Jugendliche jeden Tag treffen, die müsste man auch noch einmal kritisch beleuchten. Die Kinder und Jugendlichen gelangen so einfach an diese Angebote, dass sie gar nicht hinterfragen, was dahintersteckt. Und auch den Eltern fehlt die Kompetenz, ihren Kindern das Nötige mit auf den Weg zu geben.