Terrorbekämpfung : Zeig mir dein Gesicht
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Neun der islamistischen Terroristen, die in Paris mordeten, will „Faception“ erkannt haben, in diesem Fall allerdings erst im Nachhinein. Bild: Faception
Die israelische Firma „Faception“ will Terroristen am Gesicht erkennen. Und zwar auch, wenn Polizei und Geheimdienste gar keine Daten zu den Personen haben. Das klingt verdächtig.
An amerikanischen Flughäfen werden Gesichtserkennungssysteme installiert, um potentielle Terroristen und andere Kriminelle an der Einreise zu hindern. Reisende müssen ihr Gesicht frontal von einer Kamera fotografieren lassen. Eine Software vermisst verschiedene Punkte im Gesicht und gleicht die biometrischen Merkmale mit einer Datenbank ab. Diese Datenbank muss jedoch erst aufgebaut werden, um Vergleichswerte zu haben. Wer nicht aktenkundig ist, kann nicht als Terrorist identifiziert werden. Doch wie wäre es, könnte man einfach so sagen: Das ist ein Terrorist.
Die israelische Start-up-Firma Faception hat ein Verfahren entwickelt, das angeblich Charakterzüge identifiziert, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind. Mit Hilfe eines maschinell lernenden Algorithmus sollen mit Bildern aus Netzwerken, von Überwachungskameras und Live-Streams Gesichter erkannt und vermessen werden. Die Software markiert Abstände zwischen verschiedenen Punkten im Gesicht, „Deskriptoren“ genannt, und leitet daraus Persönlichkeitsmerkmale ab.
Küchenpsychologie plus Algorithmen
Das Ergebnis ist eine „Persönlichkeits-Score-Karte“, die jemanden als Genie, Pokerspieler, Pädophilen oder Terroristen ausweist. Bei den islamistischen Attentätern von Paris will Faception – im Nachhinein – auf eine Trefferquote von achtzig Prozent gekommen sein. Welche Merkmale einen Zocker oder Terroristen verraten, sagt das Unternehmen nicht. Es heißt nur: Faception sei „die erste marktreife Technologie mit einer eigener Computervision und machine learning für das Profiling von Menschen und die Enthüllung ihrer Persönlichkeit allein aufgrund ihres Gesichtsbilds“.
„Unsere Algorithmen können ein Individuum anhand der Klassifikatoren scoren“, heißt es bei Faception. Auf der Website werden neben groben Zeichnungen Charaktere stereotyp beschrieben. Der „professionelle Pokerspieler“, heißt es, sei mit „hohem Konzentrationsvermögen, Beharrlichkeit und Geduld ausgestattet“. Er sei „zielorientiert, analytisch und von trockenem Humor“. Der Terrorist neige zu „aggressivem, grausamem Verhalten“ und habe Stimmungsschwankungen. Der Pädophile leide unter hohem Stressniveau und Depressionen. Er sei introvertiert und emotionslos. Die Zuschreibungen haben die Evidenz eines Horoskops, die Methodik ist haarsträubend: etwas Küchenpsychologie plus Algorithmen.
„Wir verstehen die Menschen besser, als Menschen sich gegenseitig verstehen“, sagt Faception-Chef Shai Gilboa. „Unsere Personalität“, dozierte er im „Wall Street Journal“, „ist von unserer DNA determiniert und spiegelt sich in unserem Gesicht. Es ist eine Art Signal.“ Die Rhetorik ist entlarvend. Gilboa vertritt einen kruden Biologismus, dem zufolge Persönlichkeitsmerkmale allein im Erbgut verankert sind. Die Vorstellung, dass man Charaktereigenschaften skalieren kann und dass die Persönlichkeit per „Profiling“ und „Verhaltensvorhersage“ zu ermitteln sei, zeigt, von welchem Menschenbild Faception ausgeht. Es offenbart sich ein Denken, das man für überwunden hielt. Im 18. Jahrhundert versuchte der Schweizer Pfarrer Johann Caspar Lavater Körpermerkmale zu deuten und Persönlichkeitsmerkmale in Gesichtern abzulesen: „Je moralisch besser, desto schöner. Je moralisch schlimmer, desto hässlicher.“ Die Physiognomik mündete in Abstrusitäten und bereitete den Nährboden für Rassenwahn und Eugenetik.
Und was passiert, wenn die Maschine einen unbescholtenen Bürger bei der Passkontrolle als Pädophilen ausweist? Kann man Widerspruch einlegen, bleibt die Bewertung erhalten? Was, wenn der Score nur knapp unterhalb einer Schwelle liegt? Ist man dann „ein bisschen“ Terrorist? Dass Faception mit dem Department of Homeland Security zusammenarbeitet, ist beunruhigend.
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