Geruchskonserven : Kurios, schockierend oder bedrohlich?
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Es geht ans Eingemachte: Konservierte Geruchsproben im Stasi-Musesum Bild: picture-alliance / ZB
Vor dem G-8-Gipfel nimmt die Polizei Geruchsproben von Globalisierungsgegnern. Eine Überwachungstechnik, die auch bei der Staatssicherheit zum Einsatz kam. Hubert Spiegel hat Schriftsteller aus der ehemaligen DDR gefragt, was sie von der Rückkehr der Stasi-Methode halten?
„Das ist die Perversion von Staat.“ Dies ist das stärkste, das eindeutigste und entschiedenste Urteil über die harmlos aussehenden Marmeladengläser, in denen die Stasi den Körpergeruch von tausenden DDR-Bürgern konserviert hat. Längst stehen die Einweckgläser, die in den ersten Tagen nach der Wende zwischen Papiersäcken mit geschredderten Akten gefunden wurden, im Museum, im „Haus der Geschichte“ ebenso wie im Leipziger „Runden Eck“, der Gedenkstätte in der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale. Sie sind das so kuriose wie bedrückende Relikt eines Überwachungsapparates, der jedes Maß verloren hatte. Der Anblick der Vorratsgläser im Museum ruft ausgesprochen gemischte Gefühle hervor, denn das Verfahren scheint lächerlich, antiquiert, unheimlich, beschämend und schamlos. Was könnte sinnfälliger als das Staubtuch im Weckglas die Entschlossenheit eines Staates repräsentieren, seinen Bürgern mit allen denkbaren Mitteln hinterherzuschnüffeln?
Aber nun ist der Fall eingetreten, dass eine Polizeitechnik, ein erkennungsdienstliches Instrument aus dem Museum in die Praxis zurückgekehrt ist. Denn jetzt hat auch die Bundesstaatsanwaltschaft Marmeladengläser, in denen statt Kirschen, Pflaumenmus oder Quittengelee Staubtücher stecken. Und in den Staubtüchern stecken, unsichtbar, aber langlebig: Gerüche, Aromen, menschliche Ausdünstungen, die Verdächtigen in der Hoffnung abgenomnen werden, sie später einmal in unübersichtlichen Situationen wie etwa einer unangemeldeten Demonstration mit Spürhunden möglichst schnell ausfindig machen zu können. Die Körpergeruchsproben stammen von Personen, die verdächtigt werden, sie könnten womöglich auf dem bevorstehenden G-8-Gipfel gegen Gesetze verstoßen oder doch zumindest unliebsam auffallen, und sie haben Poliker aller Fraktionen zu Kommentaren veranlasst. Was aber sagen ehemalige Bürger der DDR zu dieser Rückkehr der Stasi-Methode? Was empfinden Schriftsteller, die Jahrzehnte mit der Stasi leben mussten?
Ein Krebsgeschwür im Rechtssystem
„Von der Stasi lernen, heißt ja nicht unbedingt siegen lernen“, sagt Christoph Hein und erinnert an die Filmszene in „Das Leben der anderen“, in der ein Stasi-Offizier den Kissenbezug des Stuhls abnimmt, auf dem soeben ein Verdächtiger verhört worden war. Hein hat bei der Vorberereitung des Films geholfen, die Schriftstellerwohnung, die Ulrich Mühe als Stasi-Offizier abhört, ist auch seiner Wohnung nachgebildet. „Wenn diese Filmszenen sich jetzt in der Realität wiederholen, als ließe sich die Polizei gewissermaßen vom Kinofilm inspirieren, dann finde ich das einerseits eher kurios als schockierend. Andererseits sehe ich das aber durchaus auch als bedrohlich an. Wenn ein Rechtssystem, an einem Punkt unterwandert oder ausgehöhlt wird, ist das wie ein Krebsgeschwür. Ich denke da auch an Guantanamo; da ist ein Anfang gemacht, und wir können noch gar nicht wissen, welche Folgen so etwas haben kann.“ Dass Innenminister Schäuble das Verfahren als „angemessen“ bezeichnet hat, empfindet Hein als „peinlich“.
Monika Marons erste Reaktion ist abwägend: „Ich bin weit davon entfernt, das für das gleiche zu halten, was die Stasi gemacht hat.“ Dass deren Methoden jetzt wieder zur Anwendung kommen, findet sie wenig überraschend: „Natürlich kommen Behörden oder Institutionen, wenn sie erst einmal angefangen haben, in Extremen zu denken, alle auf dieselben Ideen.“ Für extrem hält die Schriftstellerin ein Sicherheitsbedürfnis, das sie auf den verschiedensten Gebieten, in der Politik wie im Privatleben, stetig anwachsen sieht. „Wir können nicht mehr die kleinste Lücke im System ertragen. Am Ende werden uns unsere Sicherheitsbedürfnisse noch erdrosseln.“ Dass der Staat Gewalttätern entgegentreten muss, ist für die Schriftstellerin selbstverständlich. „Aber wir sind dabei in einer großen Zwickmühle: Wir können entweder relativ verwundbar bleiben, oder uns so absichern und abschotten, dass wir darüber die Freiheit abschaffen, die wir eigentlich verteidigen wollen.“
Eigendynamik des Polizeiapparats
„Es war eben doch nicht alles schlecht in DDR“, sagt Jens Sparschuh ironisch. „Langsam merkt der Westen das eben auch, erst der grüne Pfeil fürs Linksabbiegen, dann die Kindergärten, jetzt die Geruchskonserven“. Sparschuh, der in Potsdam lebt, empfindet den Vorgang vor allem als zynisch, interessiert sich aber für die „sinnliche Komponente“ des Vorgangs. Die Nase, sagt Sparschuh, sei doch wohl das einzige verlässliche Organ der Erinnerung.
Jenny Erpenbeck war 1989 22 Jahre alt. „Dass ich in der DDR aufgewachsen bin, hat für mich unter anderem mit sich gebracht, dass ich keiner Regierung blind vetrrauen könnte.“ Dass sich die Bundesanwaltschaft einer Stasi-Methode bedient, findet sie nicht überraschend und schon gar nicht schockierend. „Es wäre ja schön, wenn alle üblen Methoden mit der Stasi untergegangen wären. Aber jeder Geheimdienst, jeder Polizeiapparat hat doch eine Eigendynamik, die dazu führt, dass er jedes Mittel anwendet, dass ihm erlaubt ist.“
Schröders Irrtum, Schäubles Urteil
Ist es diese Eigendynamik, die uns jetzt Konserven mit Körpergeruchsproben von Globalisierungsgegnern eingebracht hat? Als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Innenminister Otto Schily im Januar 2000 die Gauck-Behörde besuchten, sagte Schröder angesichts der Stasi-Geruchsproben: „Das ist die Perversion von Staat“. Am gestrigen Dienstag erklärte Schilys Nachfolger Wolfgang Schäuble, das Vorgehen der Polizei für angemessen. Schröder muss sich also geirrt haben. Aber worüber? Über die Methode? Oder über den Staat, der sie erfunden hat. Oder über den Staat, der keinerlei Hemmung zeigt, sie zu übernehmen? Wenn die Stasi die Proben nicht heimlich, sondern offiziell abnahm, zwang sie die Betroffenen, sich ein Tuch eine halbe Stunde lang auf die Leistengegend zu pressen. Die Umstände dürften in der Regel die erforderliche Schweißproduktion garantiert haben.