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Ratzingers Sekretär : Gänswein enthüllt seine Traumata

Im Klatschbetrieb des Vatikans: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. und sein Privatsekretär Georg Gänswein auf einer Aufnahme vom 3. September 2019 Bild: dpa

„Nichts als die Wahrheit“ nun auf Deutsch: Georg Gänsweins Buch über sein Leben mit Papst Benedikt XVI. verspricht aufschlussreiche Interna, hat jedoch ein Rollenproblem.

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          Dass der langjährige Sekretär des Papstes unmittelbar nach dessen Tod ein Buch ankündigte, das schon im Untertitel den Sekretär ins Licht rückt („Mein Leben mit Benedikt XVI.“), sorgte Anfang Januar nicht nur im Vatikan für Irri­tationen. Ausgerechnet der Sekretär! Hat der päpstliche Sekretär nicht für Diskretion zu stehen, auch über den Tod seines Dienstherrn hinaus? Der Eindruck, vom italienischen Verlag befeuert, war maximal ungut: Soll hier just in time eine Verwertungskette ent­stehen, so wurde gefragt, an deren Anfang der Ratzinger-Papst und de­ren Ende sein Sekretär Georg Gänswein steht?

          „Nichts als die Wahrheit“ lautet der Haupttitel der nun er­schienenen deutschen Ausgabe. Er klinge vielleicht „ein bisschen angeberisch“, sei aber „ernst gemeint“, sagte Gänswein bei der Buchvorstellung in München. Ironiefrei gesetzt, beansprucht der Titel eine Superaufklärung (etwa über die näheren Umstände von Benedikts Rücktritt oder über Ratzingers Verhältnis zu Franziskus). Er verspricht für sich genommen Aussagen darüber, wie es eigentlich gewesen ist, diesseits der Hermeneutik stets sprungbereiter Besserwisser. Daraus spricht eine quellenkritische Naivität, welche die eigene Wahrnehmung heikler Vorgänge des Pontifikats absolut setzt. Ein psychologisches Selbstbewusstsein, das eben nicht zufällig „Mein Leben“, das des Sekretärs, im päpst­lichen Prisma sichtbar machen möchte.

          Die Zerrüttung mit Franziskus

          Ungehemmt ins Einzelne gehend erzählt Gänswein die Geschichte seiner Zerrüttung mit Papst Franziskus. Dabei geht es im Wesentlichen da­rum, dass Gänswein sich als Präfekt des päpstlichen Hauses in seinen Aufgaben nach und nach beschnitten sah. In dieser Präfekten-Funktion habe Franziskus ihn gedemütigt und schließlich freigestellt. Das liest sich dann so: „Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Besuch bei der Gemeinschaft Sant’Egidio in Trastevere am 15. Juni 2014: Als wir uns am Tag da­vor nach den Audienzen in Santa Marta verabschiedeten, sagte mir der Papst im Beisein des Kommandanten der Gendarmerie und der Schweizer Garde sowie der Chauffeure, dass meine Anwesenheit nicht vonnöten sei und ich mir einen Tag freinehmen könne, und als ich etwas verwundert reagierte, bekräftigte er es noch einmal.“

          Sogar die Chauffeure hatten es mitbekommen! Später habe er Franziskus erklärt, „dass so etwas meine Autorität mindere und dass ich mich gedemütigt gefühlt hätte: Er hatte mir nämlich seine Entscheidung im Beisein anderer mitgeteilt, sodass der Klatsch gleich mit unterschiedlichen Interpretationen im Vatikan die Runde machen konnte.“

          So was kommt vor: dass ein Chef (wie gerecht oder ungerecht auch immer) die Nase eines Mitarbeiters nicht mehr sehen kann, im Weiteren dafür sorgt, dass der Mitarbeiter weniger zu melden hat, eine andere als die gewünschte Dienstwohnung erhält (auch hier beklagt sich Gänswein bitter), und derartige De­mütigungen wiederum Gerüchte aufkommen lassen, zumal in einem Klatschbetrieb wie dem Vatikan. Aber ist das ein Grund, sich derart persönlich auf Ratzingers Bühne auszubreiten?

          Er oder ich? Aus beinahe jeder der instruktiven Seiten lugt dieses Rollenproblem. Wenn, wie zu erwarten ist, aus „Nichts als die Wahrheit“ ein Weltbestseller werden sollte, dann nicht nur wegen, sondern auch trotz seines Autors.

          Christian Geyer-Hindemith
          Redakteur im Feuilleton.

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