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Gartenschule : Was die Gärtner Alexander von Humboldt verdanken

„Humboldt und Bonpland am Orinoco” auf der 1799–1800 unternommenen Forschungsreise in Venezuela. Gemälde von Eduard Ender (1822–1883). Bild: picture-alliance

Der Humanist und Forschungsreisende Alexander von Humboldt nimmt in den Geschichtsbüchern als letzter Universalgelehrter eine Rolle der Superlative ein. Sein gewaltiges botanisches Erbe wird dabei jedoch allzu oft unterschätzt.

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          Noch immer blüht die „Dahlien-Arena“ im Frankfurter Palmengarten in nahezu allen Farben. Das verdankt sie Alexander von Humboldt, der am 19. September 1803 mit seinem Reisegefährten Aimé Bonpland in den Schlund des Jorullo hinabgestiegen war. Dabei spie der mexikanische Vulkan nach seiner jüngsten Eruption vierzig Jahre zuvor noch immer Gase. An seinen Kraterhängen pflückte der Berliner Universalgelehrte die Mutter aller Dahlien: Dahlia pinnata. Schon 1791 hatte Abbe Antonio José Cavanilles im Botanischen Garten Madrid „die Großfiedrige“ beschrieben, die bei den Azteken „Acocotli“ – „Wasserschlund“ – hieß. 1804 brachte Humboldt ihre Samen nach Paris und Berlin und löste damit einen regelrechten Dahlien-Boom aus. Denn anders als die Tulpe im späten 16. Jahrhundert und frühen 17. Jahrhundert war die Dahlie erschwinglich und eroberte flugs die Bauerngärten. Heute blüht sie in etwa 2400 Sorten rund um die Welt, etwa fünfzig davon allein in der Frankfurter „Dahlien-Arena“.

          Claudia Schülke
          Freie Autorin in der Rhein-Main-Zeitung.

          Aber die Gärtner verdanken Humboldt nicht nur die Dahlie. Auch die Kardinals-Lobelie, eine im Hochsommer rot blühende Rabattenpflanze, hat der Naturforscher aus Mexiko heimgebracht. Im Neuen Keller (NK2) des Botanischen Museums Berlin schlummert bei 20 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit der Herbarbeleg von Lobelia fulgens. Humboldt hatte seine Ausbeute 1810 an seinen einstigen botanischen Lehrer Carl Ludwig Willdenow, damals Direktor des Königlichen Botanischen Gartens in Berlin-Schöneberg, übergeben, weil Bonpland, wiewohl eifriger botanischer Feldforscher, mit der Auswertung der gesammelten und getrockneten Pflanzen überfordert war. Nach Willdenows Tod 1812 setzte der Botaniker Carl Sigismund Kunth die Arbeit fort und zeichnete die beschriebenen Pflanzen mit dem Autorenkürzel „H.B.K.“ für „Humboldt, Bonpland, Kunth“.

          „Tagetes / Oeillet d'Inde“, Farbkupferstich, handretuschiert, von Bessin nach Pierre Joseph Redouté (1759-1840)
          „Tagetes / Oeillet d'Inde“, Farbkupferstich, handretuschiert, von Bessin nach Pierre Joseph Redouté (1759-1840) : Bild: picture-alliance

          Wie viele Pflanzen Humboldt und Bonpland zwischen 1799 und 1804 in Süd- und Zentralamerika sammelten, weiß niemand so ganz genau. Rund 4500 Pflanzenarten jedenfalls haben die beiden selbst nummeriert. Die Herbarbelege sind im Naturhistorischen Museum Paris untergebracht, 3300 Belege aber auch im „botanischen Fort Knox“ der Berliner, wie Walter Lack, ehemaliger Direktor des Botanischen Gartens, seinen Bunker nannte. Von der Paranuss gibt es nur Blätter, denn nicht einmal für eine Unze Gold wollten die Indigenen die Blüten ihres Baumes den europäischen Reisenden überlassen. Dennoch: „Unsere Pflanzenbüchsen und Schnupftücher waren bald gefüllt“, notierte Humboldt in Venezuela. Bonpland fürchtete, der Papiervorrat könne den Überfluss an gepressten Pflanzen nicht fassen. Am Rand des Valencia-Sees stießen sie auf eine Tomate, die Willdenow später Solanum humboldtii nannte.

          Eine Wildtomate, wie lange vermutet, ist sie allerdings nicht, denn Bonpland notierte eigenhändig in seinem Feldbuch: „in cultis“ – „kultiviert“. Als sie später auf dem Orinoco zwischen „mehr Mücken als Luft“ kenterten, wurden ihre Herbare nass, und Hunderte von Pflanzenblättern mussten mühsam in der Sonne getrocknet werden. Ein Drittel der gesammelten Pflanzen, die Humboldt aus Sicherheitsgründen einem Franziskaner anvertraut hatte, gingen bei einem Schiffbruch unter. In Mexiko stieß er auf „Cuetlaxóchitl“: die „Blume, die nicht welkt“, wie die Azteken das Wolfsmilchgewächs nannten, das sie ihren Göttern opferten. Heute wird es zu Tausenden in den Supermärkten als „Weihnachtsstern“ verhökert – eine zur Marktgängigkeit degradierte Weihepflanze. Mit einer anderen heiligen Pflanze namens „Cempasúchil“ wurden am „Tag der Toten“ die mexikanischen Altäre geschmückt. Unter dem Gattungsnamen „Tagetes“ erinnert dieser orangegelbe Korbblütler an den etruskischen Halbgott Tages. Als „Studentenfurz“ denunziert und zur „Studentenblume“ rehabilitiert, ködert dieser Stinker Schnecken von benachbarten Salatpflanzen und tötet Nematoden im Boden.

          Aquatinta von Marchais/Bouquet nach einer Skizze von Louis de Riens. Aus Humboldts Reisewerk „Ansichten der Kordilleren“, Paris 1810-15.
          Aquatinta von Marchais/Bouquet nach einer Skizze von Louis de Riens. Aus Humboldts Reisewerk „Ansichten der Kordilleren“, Paris 1810-15. : Bild: picture-alliance

          Naturforscher und sogenannte Pflanzenjäger wie Humboldt und seine Vorbilder Georg Forster, Joseph Banks und „Brotfrucht-Willy“ Bligh von der Bounty haben unsere Gärten und Balkone aufblühen lassen. Aber um welchen Preis. Wer demnächst seine Dahlienknollen aus der Erde nimmt, um sie zu überwintern, wer im Dezember einen Weihnachtsstern kauft oder im kommenden Mai Tagetes pflanzt, profitiert noch immer vom europäischen Kolonialismus, von dessen menschenfeindlichen Auswüchsen sich Humboldt aber stets distanzierte.

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