Zum Tod von Fritz Stern : Ein Alliierter der Vernunft
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Amerikanisch-liberal: Fritz Stern, 1926 bis 2016. Bild: ddp
Er war eines Heine würdig. Der Historiker Fritz Stern war von nie versiegender Großzügigkeit gegenüber den Deutschen. Als großer Liberaler warnte er vor jeder Form politischer Religiosität. Ein Nachruf.
Fritz Stern war 73 Jahre alt, als er 1999 den Friedenspreis des deutschen Buchhandels entgegennahm. In seiner Dankesrede legte der Historiker ein erstaunliches Bekenntnis ab: Um seine Lebensarbeit der deutschen Geschichte zu widmen, habe er eine Art Entnazifizierung durchmachen müssen. Er musste „die Überzeugung gewinnen, dass deutsche Geschichte nicht aus der Perspektive von 1945 allein beurteilt werden kann“.
Die nie versiegende Großzügigkeit Fritz Sterns den Deutschen gegenüber wurde von Kollegen, Politikern und Journalisten mit nachhaltiger Dankbarkeit beantwortet. Er machte es einem leicht, das Geschenk seiner Zuwendung anzunehmen, weil er die unverdiente Gabe in jenen Witz verpackte, von dem das zitierte Wortspiel aus der Friedenspreisrede eine charakteristische Probe gibt. Die Deutschen und Leute wie er, der Arztsohn aus Breslau, ehemalige Deutsche, denen der deutsche Staat das Deutschsein und alle Bürgerrechte abgesprochen und geraubt hatte, sollten einander als freie Menschen begegnen, in intellektueller Neugier, obwohl sich auf beiden Seiten emotionale Bedürfnisse aufgestaut hatten, die sowohl die Dauerkonjunktur deutsch-jüdischer Themen in der Kulturwissenschaft der Bundesrepublik zu erklären helfen als auch die Arbeitsschwerpunkte Fritz Sterns, der seine großen Bücher über die antiliberale Stimmungsmache der deutschen Kulturkritik schrieb („Kulturpessimismus als politische Gefahr“) und über das Vertrauensverhältnis zwischen Bismarck und dessen jüdischem Bankier Bleichröder („Gold und Eisen“).
Memoiren als Porträt eines Landes
Zu Henning Ritter, dem 2013 verstorbenen Gründungsredakteur der geisteswissenschaftlichen Beilage dieser Zeitung, sagte Stern 1987, es gebe nicht nur materielle Interessen, sondern auch psychische. „Die einen sind meist klarer als die anderen - verschwiegen werden oft beide.“ Historische Aufklärung blieb für Stern Selbstaufklärung. Er schrieb Memoiren und legte sie als Porträt des Landes an, das seine Familie vertrieben hatte, allerdings als Vexierbild, mit dem Landesnamen in einem Plural, den die deutsche Übersetzung nicht gut übernehmen konnte: „Five Germanies I Have Known“.
Die deutsche Katastrophe, die sich 1933 nicht erst ankündigte, sondern schon eingetreten war, als der siebenjährige Fritz mitbekam, dass Freunde seiner Eltern verschleppt wurden, wollte Stern nicht nur juristisch aufgearbeitet wissen. Sie ist trotz der Singularität der Verbrechen ein exemplarischer historischer Vorgang, Stoff für jene schon von Griechen und Römern gepflegte Betrachtung der Vergangenheit, die ihr Lektionen entnehmen will. Jedem amerikanischen Geschichtsstudenten ist Stern, der seit 1953 an der New Yorker Columbia-Universität lehrte, als Herausgeber der Textsammlung „The Varieties of History“ bekannt, die die Vielfalt der Ansätze der Geschichtswissenschaft vor den Horizont der humanistischen Tradition stellt.
Er scheute sich nicht vor Vergleichen
Die in der deutschen Öffentlichkeit tief verankerte Ansicht, dass man sich im politischen Streit gar nicht auf die Hitler-Zeit beziehen dürfe, weil jede vergleichende Erörterung etwa der heutigen Bevölkerungs- oder Flüchtlingspolitik die Opfer instrumentalisiere, erschien Stern als makabre Abdankung intellektueller Verantwortung. Er warnte vor groben Analogien, doch deren Vermeidung ist eine Frage des Takts und der Ehrlichkeit.