F.A.Z.-Serie: Gehirntraining : Bewegt euch und ihr werdet klüger
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Intuitiv oder kulturell geprägt scheinen viele Leute noch der Sicht anzuhängen, dass es mit dem Gehirn buchstäblich von der Kindheit an nur bergab gehe und jedes Glas Bier zu viel oder jeder Kopfball weitere Nervenzellen eliminiere - bis buchstäblich nicht mehr genug Nervenzellen vorhanden sind und wir dement werden. Wahr ist, dass das Gehirn kaum regeneriert und deshalb viele neurologische und psychiatrische Erkrankungen chronisch und irreversibel verlaufen. Unwahr allerdings ist, dass dies schon die ganze Geschichte ist.
Denn lebenslang zeigt das Gehirn eine verblüffende Anpassungsfähigkeit, die man sogar sichtbar machen kann. Die Neurologen Bogdan Draganski und Arne May haben Medizinstudenten vor und nach ihrer ersten Prüfung, dem Physikum, im Kernspintomographen untersucht und gefunden, dass in einer Hirnregion namens Hippocampus, die für Lernen und Gedächtnis besonders wichtig ist, nach der Lernphase mehr graue Substanz, also mehr Hirnstruktur, zu finden war. Der Hippocampus ist eine zentrale Schaltstelle, er spielt auch in der räumlichen Orientierung ein tragende Rolle, er erlaubt die zeitliche Einordnung von Ereignissen, und er ist notwendig, Inhalte mit emotionalen Kontexten zu verknüpfen.
Gehirn-Jogging hilft gegen Demenz
Oft heißt es auch Bewegung, körperliche Aktivität allgemein, sei gut für unser Gehirn - wieso eigentlich? Dass sie es tatsächlich ist, dafür gibt es viele Hinweise, bis hin zu dem schlechten Gewissen, das jeder hat, der eben nicht genug in dieser Richtung tut. Aktivität gilt als eine Maßnahme, die eine gewisse Wirksamkeit gegen das Erkranken an einer Demenz hat. Leider greift das Prinzip nicht in jedem Fall: Der Effekt zeigt sich nur statistisch in der Bevölkerung. Aber er ist messbar, und er ist eben einer der ganz konkreten Lichtblicke, wenn es darum geht, etwas für die Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Gehirns zu tun.
Bei dem Versuch zu erklären, warum Aktivität gut für das Gehirn ist, sind wir auf die Stammzellen des erwachsenen Gehirns aufmerksam geworden. Von diesen adulten Stammzellen wissen wir erst seit fünfzehn Jahren, und die meisten ihrer Funktionen sind uns noch rätselhaft. Aber wir wissen schon, dass das, was wir als „aktivitätsabhängige Plastizität“ bezeichnen, also das Wechselspiel zwischen Struktur und Funktion des Gehirns, zu den Aufgaben dieser Stammzellen gehört.
Ein Nervenzellen-Reservoir hinter den Ohren
Im Hippocampus und in einem weiteren Areal stellen diese Stammzellen ein lebenslanges Reservoir für neue Nervenzellen bereit. Die Bildung neuer Neuronen - die Neurogenese - ist sicher die Ausnahme, wenn es um Hirnveränderungen bei Erwachsenen geht. Sie ist nicht die Regel. Trotzdem könnte sie gerade im Zusammenhang der Demenzen und der Entwicklung neuer Präventionsstrategien und Therapien von großer Bedeutung sein.
Jeder von uns besitzt zwei Hippocampi im Schläfenlappen, also quasi „hinter den Ohren“. Bei der Alzheimerdemenz ist der Hippocampus früh geschädigt. Die Patienten haben Merkfähigkeitsstörungen, viele können sich in bekannter Umgebung nicht mehr orientieren und die zeitliche Abfolge der Vergangenheit geht ihnen durcheinander.
Auf der anderen Seite entstehen just im Hippocampus neue Nervenzellen, vermutlich sogar bis ins hohe Alter. Aber ihre Zahl ist sehr gering. Und sie scheinen nichts mit der Regeneration beschädigter Areale zu tun zu haben. Warum also der Aufwand? Unsere Idee ist, dass im Hippocampus Hirnentwicklung lebenslang nicht aufhört und erfolgreiches Altern viel mit dem Erhalt dieser Entwicklungsfähigkeit zu tun hat.
An Engstellen feuern die Synapsen
Offenbar deckt der gesamte Rest des Gehirns seinen Bedarf an strukturellen Anpassungen auf der Ebene der Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen. Sie bilden durch Training zusätzliche Synapsen. Das ist auch im Hippocampus so, aber hier scheint es eine Besonderheit zu geben, die es notwendig macht, dass hier neue Nervenzellen gebildet werden. Die neuen Zellen allein können nicht die verblüffenden Unterschiede bei den Medizinstudenten erklären, dafür ist ihre Zahl zu gering. Aber es bleibt verblüffend, dass es genau in einer Hirnregion, die solche dramatischen strukturellen Anpassungsvorgänge zeigt, auch lebenslang neue Nervenzellen gibt.