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Evgeny Morozov im Gespräch : Es ist lächerlich, das Internet erklären zu wollen!

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Es gibt keine Sache namens „Internetstudien“: Evgeny Morozov arbeitet stattdessen an einer Geschichte unserer digitalen Gegenwart Bild: Rocco Rorandelli / TerraProject / Picturetank

Evgeny Morozov ist erst 29 Jahre alt und gilt schon als Vor- und Nachdenker der digitalen Welt. Eine seiner Diagnosen lautet: „Demokratie ist von Natur aus nicht effizient, Technokraten gefährden sie.“

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          Ihr großes Thema ist die digitale Revolution. Warum sind Sie denn aber nicht im Silicon Valley anzutreffen?

          Ich war dort ja zwei Jahre lang, mittendrin an der Stanford University, aber es gibt nun keinen Grund für mich, unbedingt im Silicon Valley zu sein. Ich gehöre nicht zu denen, die jede Produktankündigung von Google, Facebook oder Apple analysieren müssen. Mich interessiert, was es intellektuell hergibt, welche Auswirkungen die Produkte haben und, historisch gesehen, wie viele der Formeln und Konzepte, die zur Beschreibung der sogenannten digitalen Revolution herangezogen werden, entstanden sind. In Cambridge bin ich vor allem, weil ich die Geschichte unserer digitalen Gegenwart schreiben will, also: wie wir uns verändert haben, wie wir mit Technologie umgehen und wie wir durch Technologie über uns selbst anders nachdenken.

          Wie weit gehen Sie da zurück?

          Mitte der vierziger Jahre kann man damit gut beginnen, als die Kybernetik aufkam, die Informationstheorie, die elektronische Datenverarbeitung, als die Macy-Konferenzen über die wissenschaftliche Erforschung des menschlichen Geistes stattfanden. Viel davon passierte an der Ostküste.

          Sie sind gerade neunundzwanzig Jahre alt, stehen aber als „public intellectual“ seit Jahren schon im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. In Harvard sind Sie jetzt in einem Doktorandenprogramm eingeschrieben, Fachrichtung Wissenschaftsgeschichte. Warum haben Sie auf einmal den akademischen Weg eingeschlagen?

          Das habe ich nicht, ich will kein Akademiker werden. Es gibt viele Gründe dafür, nicht zuletzt den, dass ich den Glauben an die Gültigkeit eines Forschungsgebiets verloren habe, dem ich früher verbunden war und das man „Internetstudien“ nennen könnte. Ich meine, es gibt keine Sache namens „Internetstudien“, und es sollte sie auch nicht geben. Leute, die bezahlt werden, das Internet zu studieren, bekommen im Grunde ihr Geld nur, um dessen Logik, Vokabular und Weltsicht zu perpetuieren. Es ist lächerlich, das Internet erklären zu wollen. Was erklärt werden müsste, ist das beständige Bedürfnis, das Internet zu erklären, als wäre es eine theologische Kraft mit Bedeutung. Eine selbsternannte Priesterklasse hat sich formiert, um das Wesen und die Auswirkungen des Internets zu erklären. Ich halte das für ein moralisches Denken und Reden, das man besser vermeiden sollte. Mit meinem Gang in die Wissenschaftsgeschichte wollte ich zeigen, dass das Gebiet, auf dem ich fünf Jahre tätig war, leer ist. Es hat keine Substanz. Wer das nicht sieht, belügt sich selbst und andere.

          Was tun Sie jetzt anderes?

          Ich kann in einem intellektuellen Milieu Wurzeln schlagen, in dem ich nicht vom Erfolg verdorben werde, was sehr leicht geschehen kann. Wenn ich wollte, könnte ich unterwegs sein und jeden Tag einen Vortrag halten. Ich habe aber gemerkt, dass das nicht das Richtige für mich ist, allein, weil ich intellektuell nicht einmal an der Oberfläche von dem gekratzt habe, was ich tun muss, und weil ich in der Bibliothek sitzen muss, durch die Archive gehen und dieses Jahr fünfhundert Bücher lesen muss.

          Was steht da alles auf Ihrer Leseliste?

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