Erfahrungsbericht eines Schriftstellers : Wer steckt denn wirklich in der Krise?
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„Jene Menschen in Business-Anzügen, die Business-Englisch sprechen und Business-Class fliegen“, sind die Krisengewinnler. Michael Ende fasste solche Zeitdiebe ins Bild seiner „Grauen Herren“ Bild: epd
In der Not Europas sind wir alle gleich - bis auf die Profiteure. Erfahrungen eines Schriftstellers mit dem Zwang, alles dem Primat der Ökonomie unterzuordnen.
1. 1990, kaum zwei Jahre nach meiner Flucht in den Westen, habe ich ein Theaterstück geschrieben, in dem ich eine Figur, eine Deutsche sagen lasse: „Früher haben die Griechen getanzt. Heute wollen sie so werden wie wir.“
Das Stück heißt „Vom Umtausch ausgeschlossen“, es handelt vom Verlust der Utopie und wurde, glaube ich, 1991 in Bonn uraufgeführt.
2. Ich weiß nicht, ob ich zur europäischen Krise viel Neues beisteuern kann, zumal die Fakten nach meinem Eindruck allzu deutlich sind: Die Deregulierung der Finanzmärkte; die unglaubliche Idee, die wirtschaftliche Einheit ohne die politische Einheit einführen zu wollen; das Problem der Unmöglichkeit der Währungsabwertung für schwächelnden Volkswirtschaften und so weiter. Hat nicht schon die sogenannte Wiedervereinigung gezeigt, was für Folgen künstlich verteuertes Geld zeitigt Buchstäblich am Tag der deutschen Währungsunion hat sich die Industrie der DDR in eine Trümmerlandschaft verwandelt. War man nicht in der Lage, daraus Lehren zu ziehen?
Das alles ist hinreichend bekannt, ohne dass es von den meisten zur Kenntnis genommen wird, ebenso wenig wie dieser verblüffende und im Grunde allzu bekannte Fakt - so bekannt, dass ich mir ersparen kann, die entsprechende Statistik zu bemühen. Das wirkliche Bemerkenswerte an der sogenannten europäischen Krise ist nämlich, dass die wenigen Reichen in dieser Krise immer reicher geworden sind, während die Ärmeren immer ärmer wurden.
Was für eine Krise also? Genauer: Krise für wen?
3. Für mich zum Beispiel. Nach fünfundzwanzig Jahren Schreiben habe ich plötzlich einmal eine größere Menge Geld verdient, jedenfalls nach meinen Maßstäben (nach den Maßstäben derer, die an der Krise verdient haben, ist mein Verdienst lächerlich), und nun droht diese Geldmenge, die meine Altersvorsorge sein könnte, durch Inflation zu verfallen. Die Deregulierung der Finanzmärkte hat sich auf das Börsengeschehen so ausgewirkt, dass ich es nicht riskieren kann, das Geld in Aktien oder anderen Wertpapieren anzulegen. Sooft ich das versucht habe, mit oder ohne Beratung durch meine Bank, war das Geld am Ende weg, wie uns eine verlogene Sprache weismachen will - denn mein Geld war nicht weg, es hatte nur den Besitzer gewechselt. Es war genau im Besitz jener Leute, die an der Krise verdient haben.
Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre es leicht gewesen, das Geld in einer Immobilie anzulegen, einer Wohnung zum Beispiel: Berlin, arm, aber charmant. Aber damit ist es auch vorbei. Dank des ungehinderten Kapitaltransfers ist es für Menschen aus aller Welt möglich geworden, Immobilien in Berlin zu kaufen. Alle haben, so wie ich, Angst vor der Inflation. Immer weniger trauen den Aktienmärkten. Amerikaner, Franzosen, Dänen, ja sogar Griechen investieren in Berliner Immobilien. Es gibt in Berlin keine Wohnungen mehr, die Preise steigen. Die Mieten steigen. Mieter werden mit fast kriminellen Mitteln aus Wohnungen gedrängt. Im berühmten Ostberliner Bezirk Prenzlauer Berg, wo ich übrigens, mit Unterbrechungen, seit 1976 wohne, wurden bereits achtzig Prozent der Bevölkerung verdrängt - hier haben wir die Verlierer der Krise.
4. Aber diese Verlierer sind nicht nur die Verlierer der europäischen Krise. Sie sind auch die Verlierer des europäischen Erfolgs. So wie die Profiteure der Krise auch die Profiteure des Erfolgs sind. Und ich bin mir nicht sicher, was ich mehr fürchte: die Krise oder den Erfolg Europas.