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„Ehe für alle“ und Grundgesetz : Der Volksmund weist den Weg

Die Ehe Homosexueller soll endlich auch Ehe heißen

In den anderthalb Jahrzehnten seitdem hat das Verfassungsgericht auf dem vom Volksmund gewiesenen Weg alle noch bestehenden Unterschiede zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft Schritt für Schritt beseitigt. Geblieben ist, außer dem Verbot gemeinsamer gleichzeitige Adoption, an dem nicht einmal Horst Seehofer festhalten will, nur noch der Name.

„Ehe für alle“ : Der Schlagabtausch im Bundestag

Juristen halten sich viel auf den Realismus ihrer Methode zugute. Sie ordnen die Welt nach dem Gleichheitsprinzip: Gleiches soll gleich behandelt werden, Ungleiches ungleich. Die erste Forderung dieses Prinzips muss sein, Gleiches auch gleich zu benennen. Nichts anderes hat der Bundestag am 30. Juni getan: Die Ehe der Homosexuellen soll endlich auch Ehe heißen. Zwei vollkommen identische Institute können nichts Verschiedenes sein. Nicht nur für den Stil, auch für den Inhalt des Verfassungsrechts gilt das Gebot der Knappheit gemäß dem Rasiermesserlehrsatz des Wilhelm von Ockham: Man darf die Dinge nicht ohne Not vervielfältigen.

Unter dem besonderen Schutz

Der realistischen Anerkennung der Einheit des Instituts der Ehe stehen nun allerdings Sätze aus dem Verfassungsgerichtsurteil von 2002 im Weg, wonach die Vereinigung von Mann und Frau zu den „wesentlichen Strukturprinzipien“ der Ehe gehöre, die „ohne Verfassungsänderung“ nicht verändert werden könnten. Man muss diese Sätze aus der Situation von 2002 verstehen: Sie sollten den Gegnern der Lebenspartnerschaft die Angst vor dem Verschwinden der Ehe nehmen.

Das Gericht hat sich getäuscht, als es die vom listigen Erzpragmatiker Herzog 1993 noch eingeräumte Möglichkeit der Strukturveränderung durch Einstellungswandel neun Jahre später scheinbar kategorisch ausschloss. Was die wesentlichen Strukturprinzipien eines Verfassungsinstituts sind, ist aber nicht durch Versenkung in den Verfassungstext zu ermitteln und nicht durch Aufsagen von Verfassungsgerichtsurteilen zu beweisen. Es ist eine Frage der Auslegung: Was ist uns das Wesentliche an der Ehe? Die Entwicklung des Ehe- und Familienrechts seit 2002 wie auch der Blick ins Ausland zeigen, dass die Geschlechtsverschiedenheit ihre prägende Bedeutung für das Eheverständnis verloren hat. Wer an ihr festhalten möchte, konserviert nur noch ein Ventil für die Vorurteile der Homophoben.

Das Verfassungsgericht traf 2002 eine irrtümliche Prognose, als es ein Merkmal der Ehe als wesentlich bestimmte, das sich sehr schnell als vergänglich erwiesen hat. Karlsruhe kann diesen Irrtum selbst korrigieren. Aber in der Demokratie ist die Zuteilung von Rechten zuerst die Pflicht des Gesetzgebers. Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Daran hat sich nichts geändert. Wir glauben nur, dass wir es jetzt besser verstehen.

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