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60 Jahre Anwerbeabkommen : Der Schmerz bleibt bis zum Tod

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Ankunft in der Fremde: Türkische Gastarbeiter auf dem Flughafen Düsseldorf im Sommer 1970 Bild: picture-alliance / dpa

Als man sie noch Gastarbeiter nannte: Döndü Yildirim musste ihren Sohn in der Türkei zurücklassen, als sie 1966 nach Deutschland kam. Ihr Mann hatte ihr davon zuvor nichts gesagt.

          3 Min.

          Ich war 20 Jahre alt, als ich 1966 nach Deutschland kam. Bis dahin lebte ich in Ankara. Nach Deutschland zu kommen war nicht meine Idee. Mein Mann, den ich mit 17 Jahren geheiratet hatte, hatte gehört, dass man dort Arbeitskräfte sucht. Er war Angestellter, es ging uns nicht schlecht, wir waren eine ganz normale Familie. Aber er wollte, dass wir uns bald ein Auto leisten könnten, eine schönere Wohnung, vielleicht ein Radio – nach einiger Zeit kämen wir ja wieder zurück.

          Also haben wir die Koffer gepackt, alles in die Wege geleitet und unseren Haushalt aufgelöst. Nun war es aber so, dass Deutschland auf einmal nur noch Frauen als Arbeitskräfte wollte. Sie durften ihre Kinder nicht mitbringen, aber das alles sagte mir mein Mann erst im letzten Moment. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich ließ meinen zwei Jahre alten Sohn, den ich noch stillte, bei meiner Mutter und stieg alleine, nur begleitet von meiner Schwägerin, in den Zug. Ich habe die ganze Reise über geweint.

          Sehnsucht nach dem Sohn

          Am Bahnhof in München führte man uns in einen alten Bunker unter den Gleisen, dort hatte die Arbeitsvermittlung ihre Tische aufgebaut. Wir bekamen Weißkohlsalat, das war der erste deutsche Geschmack auf meiner Zunge. Ich wusste nicht, dass man aus Weißkohl Salat machen kann. Auch von Deutschland wusste ich nichts. Aber ich mochte Großstädte. Deshalb sagte ich, ich will nach Berlin. Mein erster Arbeitgeber dort war der Schokoladenhersteller Sarotti, wo ich anderthalb Jahre bleiben musste. Ich arbeitete in Schicht, unter anderem verpackte ich Schokolade, für 2,50 DM die Stunde. Es hieß, die Deutschen verdienten mehr. Mein Kopf war voller Sorgen, ich habe viel geweint im Frauenheim. Wieder bei null anfangen zu müssen, obwohl man zufrieden mit seinem Leben war, ist schlimm. Am meisten aber schmerzte mich die Trennung von meinem Sohn. Ich wusste nicht, wann ich ihn wiedersehen würde, und der Kontakt gestaltete sich schwierig. Im Dorf meiner Mutter gab es noch kein Telefon. Also schrieb ich Briefe und besprach Kassetten, die ich ihr schickte. Meine Mutter hat meinem Sohn immer wieder Fotos von mir gezeigt. So wie mir ging es vielen türkischen Frauen. Die meisten hatten sich aus der Not heraus entschlossen, nach Deutschland zu gehen. Man hätte nicht von ihnen verlangen dürfen, ihre Kinder zurückzulassen. Das war unmenschlich. Es war falsch.

          Hinzu kam, dass ich mich nicht verständigen konnte. Manche behandelten mich deshalb von oben herab. Ich mag Menschen und rede gern. Nicht mit anderen sprechen zu können war schlimm. Nach sechs Monaten bin ich mit dem Dolmetscher zu meinem Meister gegangen und habe gesagt, dass ich, um Deutsch zu lernen, in eine andere Abteilung möchte. Eine, in der nicht nur Ausländer sind. Zum Glück stimmte er zu, sonst hätte ich vielleicht nie richtig Deutsch gelernt. Sprachkurse gab es für uns nicht.

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