Was das E-Book nicht kann : Für ein neues Lesen im Internet-Zeitalter
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Das Bücherregal auf dem iPad Bild: Apple
Das E-Book, wie wir es kennen, ist eine billige Imitation der größten gestalterischen Errungenschaft der Menschheit: des Buchs. Einer der bedeutendsten Software-Entwickler unserer Zeit, David Gelernter, blickt skeptisch auf überbordenden Technologieballast und entwickelt eine Vision des neuen Lesens.
Elektronische Bücher, im Normalfall für die Lektüre auf tragbaren Computern mit Bildschirmen von ungefähr der Größe und Form einer typischen Druckseite gedacht, fassen auf dem Buchmarkt Fuß. Sie erwecken nicht den Eindruck, dass man viel Aufhebens von ihnen machen sollte, doch demonstrieren E-Books, dass sich die Technologiebranche durch einen Mangel an Phantasie, kulturelle Vergesslichkeit und den unbedingten Vorrang der Quantität vor der Qualität auszeichnet.
Sie setzen voraus, dass das Publikum Technologie nicht als Quelle neuer, welterweiternder Ideen versteht, sondern als Droge, an die man sich gewöhnt und deren Nebenwirkungen niemanden beunruhigen. In einer Zeit, in der Kunst, Religion und moralische Ernsthaftigkeit im Westen aus der Mode gekommen sind, ist die Technik zum Opium des Volkes geworden.
Software kann Wunder für das Buch vollbringen, aber nur, wenn wir an dem Potential der Cybersphäre ansetzen, Neues zu schaffen, statt uns mit billigen Imitationen des Bekannten zufriedenzugeben. Langfristig verheißt der technische Fortschritt nur dann einen menschlichen Fortschritt, wenn die Technologen anfangen, die Eigenschaften der Dinge zu verstehen, die sie ersetzen wollen. Das ist jedoch fast nie der Fall.
Eine ideale Schnittstelle
Software kann das traditionelle Buch ergänzen und bereichern, aber niemals ersetzen: Das Buch - das traditionelle Buch, ein richtiges Buch - ist nicht nur die vollkommenste Errungenschaft in der langen Geschichte menschlicher Gestaltung, sondern zugleich eine ideale Schnittstelle zur Software, zumindest im Prinzip. In ihrer besten Form vermag Software den Stummfilm des herkömmlichen Buches in einen modernen Film verwandeln, die Solovioline in ein Konzert. Nur wird man keinen Film und kein Konzert bekommen, wenn man als Erstes alle Bilder oder den Solisten weglässt. Sie sind, worauf man aufbauen muss.
Die E-Books von heute sind ein Versuch, die Welt der Bücher durch eine weitere Erscheinungsform des Internet zu ersetzen. Das E-Book steht für Billigkeit, Effizienz und fässerweise Informationen, die wir herunterstürzen, aber nicht Glas für Glas genießen können. Natürlich haben elektronische Bücher viele praktische Vorteile. Plastikblumen übrigens auch; und vierbeinige Roboter mit Fellbesatz machen weniger Mühe als Hunde. Nur haben E-Books im Unterschied zu Plastikblumen und plüschigen Robotern eine enorme Dynamik auf dem Markt entfaltet, weil hinter ihnen Großunternehmen stehen und niemand als Maschinenstürmer gelten möchte: Niemand möchte technikfeindlich sein und sein Herz an eine überholte Vergangenheit hängen.
Unsere Voreingenommenheit in diesen Fragen zeigt sich schon an dem Umstand, dass wir über das Wort „Maschinenstürmer“ verfügen, um jemanden zu bezeichnen, der gegen neue Technologien ist, nur weil sie neu sind. Wir haben aber keinen Ausdruck für jemanden, der für neue Technologien ist, nur weil sie neu sind. Auf jeden Maschinenstürmer kommen hundert, vielleicht tausend umgekehrte Maschinenstürmer. Statt das Publikum mit meisterlichen Errungenschaften zu verführen, muss die Technologie nur fragen, und das Publikum sagt ja.
Vernichtung des Ästhetischen