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Facebook : Das Leben wird zur Online-Show

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Mark Zuckerbergs neueste Pläne machen Facebook mächtiger denn je

Mark Zuckerbergs neueste Pläne machen Facebook mächtiger denn je Bild: Reuters

Facebooks „Open Graph“ ist der beängstigende Versuch, ein Netz im Netz zu schaffen. Wer es betritt, braucht es nie wieder zu verlassen: ein gläserner Käfig für die Nutzer und das Paradies für die Werbewirtschaft.

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          Vor einer gefühlten digitalen Ewigkeit, als „online sein“ noch hieß, seinen Computer per Modem mit einem anderen Computer zu verbinden, gab es einmal zwei wesentliche Online-Dienste. Der eine hieß Compuserve, der andere AOL. Beiden gemein war, dass sie – bevor das Internet zum universellen Werkzeug wurde – ihren Nutzern ein möglichst vollständiges Angebot an Informations- und Kommunikationsdiensten boten.

          Solange das Internet noch mit rudimentären Browsern und längst vergessenen Ordnungssystemen wie „Gopher“ experimentierte, waren seriöse Onliner bei Compuserve und etwas weniger anspruchsvolle bei AOL unterwegs. Hier gab es E-Mail, Zugriff auf Digitalversionen von Zeitungen und Nachrichten und sogar Online-Shopping und Reisebuchungen.

          Das Konzept erinnert an die Stasizentrale

          Auch nachdem das Internet immer wichtiger wurde, AOL den Konkurrenten Compuserve geschluckt hatte und stetig an Bedeutung verlor, verfolgten die neu entstehenden Portale wie Yahoo, MSN oder T-Online immer die gleiche Strategie: dem Nutzer einen möglichst komfortablen Zugang zu den am häufigsten genutzten Web-Diensten ermöglichen, ihn bei der Stange zu halten, ihm Struktur und Ordnung für das überbordende Angebotswirrwar im Netz zu bieten. Immer noch sind diese häufig in den Browsern als Startseite voreingestellten Portale Schwergewichte, wenn es darum geht, Interessen von Nutzern zu lenken. Auch wenn dort kaum mehr Innovation geschieht, Menschen ändern ihre Gewohnheiten nur ungern.

          Bild: dpa

          Auf diese Bequemlichkeit setzt auch der Facebook-Konzern, der es sich zum Ziel gesetzt hat, dass seine Nutzer möglichst nirgendwo anders mehr hingehen sollen, weil es ja eigentlich alles, was man braucht, schon in Facebook gibt. Die Freunde sind dort, die Einladungen zu Veranstaltungen und Parties, die Bilder, der Chat, die E-Mail ersetzenden Nachrichten und nun bald auch alles andere. Und man braucht nichts dafür zu bezahlen, schließlich ist man selbst das Produkt. Das Konzept erinnert an die Stasizentrale in der DDR. Es gab alles im eigenen Haus: Friseur, Läden, Bank, Schuster, Schneider und Ärzte.

          Mitnichten ein „soziales Netzwerk“

          Mit der Umwandlung von Facebook in eine umfassende Alltagsdatenspeicherungsplattform erhöht sich die „Klebrigkeit“ erheblich. Selbst an einem Button für Todesfälle in der Familie ist nun gedacht. Wer sein halbes Leben dort verewigt hat, viel Aufwand in das Sortieren und Präsentieren seiner Informationen gesteckt hat, wird nicht so schnell woandershin weiterziehen.

          Die Behauptung, man könne ja einfach zur Konkurrenz gehen, wenn die Nutzungsbedingungen oder Privatsphäreeinstellungen sich ins Unerträgliche wandeln, wird immer mehr zu einem schalen Selbstbetrug. Große Freude dürfte Facebooks neue Strategie sicherlich bei Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten auslösen. Sie können zukünftig mit geringen Hürden Zugriff auf wirklich umfangreiche Lebensprofile nehmen, inklusive aller Details.

          Für diese aggressiv vorangetriebene Strategie, die Nutzer zum längeren Verweilen zu bewegen, gibt es handfeste wirtschaftliche Gründe. Facebook ist mitnichten ein „soziales Netzwerk“. Es ist ein Unternehmen, das eine Dienstleistung verkauft: gezielte, perfekt zugeschnittene Werbung. Der Börsenwert des Unternehmens wird folglich anhand der Anzahl, Verweildauer und Nutzungsintensität seiner Mitglieder errechnet. Jede Minute, die ein Nutzer nicht auf Facebook ist, wird als Verlust angesehen.

          Gesunde wie ungesunde Lebensstile sind ansteckend

          Technisch ist „Open Graph“ kein Wunderwerk, die eigentliche algorithmische Innovation findet eher bei den Methoden zur Verbesserung der Zielgenauigkeit der Werbung statt. Wie bei Google wird auch bei Facebook ein signifikanter Teil der geistigen Kapazität der Entwickler dafür verwendet, Nutzer immer treffsicherer zum Kauf von Waren und Dienstleistungen zu animieren. Mit den Informationen aus dem digitalen Lebensdatenstrom steht zu erwarten, dass die Werbung eine Qualität erreicht, die sie kaum noch von gutgemeinten algorithmischen Ratschlägen unterscheidbar macht.

          Der Versuch, Facebook zum zentralen Knotenpunkt für vernetzte Applikationen und Geräte – wie etwa den Fahrradcomputer – zu machen, hat jedoch noch weiterreichende Implikationen. Wenn die per WLAN angebundene Waage im Bad jeden Morgen das Gewicht ins Facebook-Lebenstagebuch schreibt und der Fitness-Tracker die Jogginghäufigkeit und -strecken publiziert, warum sollten diese Daten dann nicht für einen Beitragsabschlag mit der Krankenkasse geteilt werden?

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