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Digitale Aufklärung : Unser Denken soll das Internet lenken

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Beeinflussung durch Pflege: Soziale Netzwerke

Beeinflussung durch Pflege: Soziale Netzwerke Bild: dpa

Das Internet verändert uns. Firmen wie Google denken, sie können über das Netz unser Leben bestimmen. Doch es geht auch umgekehrt: Wir können das Internet nach unserem Willen formen. Wir müssen nur die Werkzeuge erobern, die uns zu überwältigen scheinen.

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          Das Internet hat unser Denken bereits verändert. Wir haben uns daran gewöhnt, dass es eine entscheidende Ressource der Industriegesellschaften ist, die vermeintlich das gesamte Weltwissen bereitstellt. Und wenn wir uns nicht selbst wie selbstverständlich darin bewegen, so wissen wir doch, dass der globalisierte Gedanken-, Informations- und Geldaustausch im Netz funktioniert. Er sprengt die engen Grenzen unseres eigenen Gehirns und der Beziehungen unserer Umgebung. Unser Denken beginnt, sich an globalen Dimensionen zu orientieren und neue Verknüpfungen zu bilden.

          Die Werkzeuge aber haben einen weiteren Entwicklungsschritt gemacht, und wir hinken hinterher. Eine grundlegende Veränderung hat im Internet stattgefunden, die wichtige Bereiche bereits erfasst und sich immer weiter ausdehnt. Die Zeit löst den Raum als Ordnungsfaktor des Netzes ab. An die Stelle statischer Websites, die in einem geordneten Raum, vergleichbar der analogen Welt, Informationen und Dienste feilbieten, treten locker geknüpfte Beziehungen im Netz, Timelines, Statusmeldungen. Sie schaffen einen beständig sich erneuernden Fluss. Informationen, Wissensschnipsel, Artikel, Enzyklopädien, Äußerungen, Angebote, Bilder, Videos, Gerüchte, Fakten, Lügen, Wahrheiten strömen am Nutzer vorbei, der Einzelne schwimmt mit und lässt den Strom mit seinen Äußerungen und Daten weiter anschwellen.

          Ein Netz mannigfaltiger Bewusstseinsströme entsteht: Der Grad der Vernetzung und die Geschwindigkeit, mit der Informationen uns erreichen, scheint kaum zu steigern und nimmt doch weiter zu. Die Smartphones sind der bislang letzte Baustein, der das Netz überall, jederzeit verfügbar macht; die Mobilgeräte bilden die sperrangelweit geöffneten Schleuse für das, was David Gelernter (siehe Alles fließt: David Gelernter über die Zukunft des Internet) als „Lifestreams“ bezeichnet.

          Die Filter kennen nur die Vergangenheit

          Viele Anwender fühlen sich von diesen Strömen überfordert. Social Networks wie Facebook, Twitter, MySpace und StudiVZ vereinen Bekannte und Unbekannte; sie führen zu einer halböffentlichen Existenz, Privatheit lässt sich kaum mehr bewahren. Selbst wer vorsichtig mit seinen persönlichen Daten umgeht, kann nicht entscheiden, was durch die von ihm hinterlassenen Spuren über ihn herauszubekommen ist. Dabei steht allen Nutzern nahezu jede Information in Echtzeit zur Verfügung. Zeitungen - online wie auf Papier gedruckt - bilden nur Inseln in diesem Strom, die zum Verweilen und Luftholen einladen; Tageszeitungen übernehmen dabei im Netz zunehmend die ordnende und einordnende Funktion von Wochenzeitungen und Zeitschriften der analogen Welt.

          Gegen diese Überforderung hilft nur die Rückeroberung der eigenen Autonomie im Netz, eine „digitale Aufklärung“. Für diese Rückeroberung braucht es zwei Dinge: Wir müssen informierte Entscheidungen treffen können, und wir brauchen Filter für die Bewusstseinsströme des Echtzeit-Internets. Wir benötigen Informationen über die Verknüpfungen, damit wir bewusst entscheiden können, wie weit unser öffentliches Leben im Netz reichen soll. Das Problem sind heute nicht mehr die Datensammlungen selbst, es fehlt die Kontrolle über die Verknüpfung der Daten. Was ich mit meiner Privatsphäre und mit meinen persönlichen Daten anstelle, ist meine Sache. Ich kann sie in alle Welt streuen, sollte ich mir davon einen Nutzen versprechen. Ich muss aber die Kontrolle darüber behalten, was passiert. Diese Autonomie muss erkämpft werden, als Freiheit des digitalen Bürgers gegen die kommerziellen Interessen der Datenverwerter. Und das wird nicht ohne Regulierung eben dieser Datenverwerter gehen.

          Die Informationsströme, die Äußerungen der im Echtzeit-Netz sich bewegenden Nutzer verlangen nach zusätzlichen Filtern, um dem Denken zugänglich zu sein. Die sozialen Netze bieten die Voraussetzung, diese Filter zu entwickeln. Irgendwann werde der Computer beziehungsweise das Netz alles über uns wissen und uns sagen können, was wir wollen, heißt es aus den Forschungsabteilungen der IT-Konzerne. Dieser algorithmische Filter, der Code des Netzes, aber weiß über meine Zukunft nur, was in meiner Vergangenheit passierte, extrapoliert meine Wünsche aus meinen gegenwärtigen Bedürfnissen. Auf dieser Selbstverstärkung basiert das Geschäftsmodell von Firmen wie Google, die meine Wünsche und meine Zukunft, die sie mit ihren Algorithmen berechnen, monetarisieren.

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