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Digitale Aufklärung : Ein gefährlicher Pakt

  • -Aktualisiert am

Als User akzeptieren wir es, auf die Summe unserer messbaren Attribute reduziert zu werden. Bild: REUTERS

Das digitale Denken reduziert unsere Welt auf messbare Objekte. Das Gewinnstreben verpasst jedem dieser Objekte ein Preisschild. Am Ende ist alles Ökonomie. Da sollten wir nicht mitspielen.

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          Die schützenden Wände unserer Privatsphäre sind feucht geworden. Schimmelflecken werden sichtbar, doch die ersten Reparaturversuche versagen kläglich: No-Spy-Abkommen, Delegationen in Washington, Kommissionen im Bundestag, Obamas Reden, Merkels Appelle: Es hilft nichts, das Problem ist weiterhin virulent, und immer mehr dunkle Flecken tauchen auf - überall.

          Das demokratische Gebäude nimmt Schaden, und die Quelle des Übels lässt sich nicht abstellen. Die Daten fließen munter weiter - von uns an sie: Bankdaten, Einkaufspräferenzen, Ortsangaben. Die wohl erstaunlichste und erschreckendste Erkenntnis seit dem letzten Sommer ist unsere Unbekümmertheit: Wir wissen, dass sie unsere privatesten Dinge speichern und auswerten, aber wir ändern nichts und posten und chatten hemmungslos weiter. Warum ist das so?

          Vielleicht fehlt derzeit das sichtbare Beispiel, das sichtbare Opfer dieser Datendestillation. Jemand, der seinen Job verliert oder jemand, der unschuldig im Gefängnis sitzt. Anders als bei Gestapo und Stasi werden wir nicht Zeugen, wie unser Nachbar frühmorgens aus dem Bett geklingelt und verhaftet wird. Keine Gefangenen, keine Folteropfer, keine Verletzten, und so ziehen wir alle einen fatalen Schluss: Das digitale Tier ist lieb und tut keinem etwas! Warum also Angst haben?

          „Es ist so bequem, unmündig zu sein“

          Talkshows, Leitartikel, Podiumsdiskussionen und Appelle jedweder Art schaffen es nicht, das gesellschaftliche Bewusstsein zu ändern - im Gegenteil. Die digitale Alltagserfahrung ist ungemein praktisch: Die App zum Auffinden des Restaurants, die schnelle und bequeme Art des Online-Ladens und das vibrierende Smartphone mit der nächsten Whatsapp-Mitteilung. Es ist so bequem und wunderbar einfach.

          Immanuel Kant hatte in seiner Definition der Aufklärung auf das eigene Denken hingewiesen - das „sapere aude“. Der Großmeister hatte in einem Atemzug vor dem Gift unserer Bequemlichkeit gewarnt: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen. . . es anderen so leicht macht, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.“ Seine Gedanken hallen nach, doch im aufbrechenden digitalen Zeitalter droht aus der Unmündigkeit eine vollständige selbstgewählte Entmündigung zu werden.

          Um diese Verschärfung zu begreifen, muss man die Auswirkungen mehrerer Entwicklungen in ihrer synergetischen Kraft verstehen:

          Zunächst steht da der immense technische Fortschritt. Heutige Mobiltelefone besitzen die Speicherkapazität ganzer Rechenzentren meiner Studienzeit, die Datenverarbeitung unserer Desktops übertrifft die Leistung der besten Supercomputer im Kalten Krieg um ein Millionenfaches. Die Integrationstechnik stößt mit Nanosensoren in neue Dimensionen und die zunehmende Vernetzung aller Apparate verstärkt das große Gewitter des Fortschritts. All das ist gleichermaßen faszinierend und unfassbar, selbst für Eingeweihte, und dabei nimmt die Entwicklung gerade erst Fahrt auf.

          Intelligente Vielfalt folgte auf Sklaverei

          Betrachtet man die Konzepte im Detail, dann offenbaren sich fundamentale Veränderungen in der Art und Weise, wie wir denken. Dazu ein kurzer Exkurs in die Informationstechnik. Frühere Programmiersprachen verliefen noch nach stur imperativen Ansätzen: Befehl und Gehorsam. Master and Slave. Die Codes waren linear und in sich geschlossen, gefangen in einem abgekapselten Teil unserer Realität.

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