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Digitale Agenda : Datenverkehr nur mit Nummernschild

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CSU-Internetminister Alexander Dobrindt, CDU-Internetminister Thomas de Maizière und SPD-Internetminister Sigmar Gabriel bei der Vorstellung der „Digitalen Agenda“ Bild: dpa

Deutschland möchte digitaler Vorreiter werden, doch die Regierung fürchtet sich vor freiem W-Lan und Anonymität im Netz. Der Widerspruch zum Verfassungsrecht ist gewaltig.

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          Drahtloses Internet per W-Lan als freier, öffentlicher Raum? Nach Jahren der fordernden Kritik hieß es im Sommer, im August werde die Bundesregierung einen Gesetzesvorschlag vorlegen, der es Menschen ermöglicht, ihr Internet mit Familie, Freunden und Unbekannten zu teilen. Doch das Gesetz verzögert sich weiter. Vorgestellt wurde im August nur der Wunschzettel der „Digitalen Agenda“, der die Chancen Deutschlands betonte - aber auch Anlass zur Skepsis bietet, ob tatsächlich Rechtssicherheit für W-Lan-Betreiber geschaffen werden soll.

          Für einen Moment herrschte nämlich traute Einigkeit auf dem Podium der Bundespressekonferenz, als Alexander Dobrindt (CSU), Thomas de Maizière (CDU) und Sigmar Gabriel (SPD) die „Digitale Agenda“ vorstellten: „Sie können ja noch Innenminister werden“, begeisterte sich der Inhaber des Amtes über einen Beitrag von Wirtschaftsminister Gabriel. „Keine Ergänzungen, ich hätte es nicht schöner sagen können!“ Die Begeisterung des Innenministers kam nicht von ungefähr: Sein Amtskollege hatte soeben eine Journalistin der „New York Times“ abblitzen lassen, die gefragt hatte, warum es in Deutschland kaum drahtlose Internetzugänge für die Allgemeinheit gibt: „In anderen Ländern gilt W-Lan als ein freier, öffentlicher Raum.“

          Wovor fürchtet sich die Bundesregierung?

          Ein Gedanke, der die beiden Minister offenbar das Fürchten lehrt. So sprach Gabriel unter dem Beifall de Maizières nicht von Chancen, die mit dem Zugang zum Netz verbunden sein könnten - zumal unterwegs, in Cafés, Bibliotheken und Bahnhöfen oder auf dem Lande, wo Mobilfunknetze oft kaum nutzbaren Internetzugang bieten. Laut Gabriel stehen offene W-Lans eher dafür, „dass du anonym an bestimmten Orten in der Öffentlichkeit übers Internet Kriminalität vorbereiten kannst“. Wohl vor diesem Hintergrund können die Koalitionäre bisher einem Reformprojekt wenig abgewinnen, das gegenwärtig „digital natives“ von Bedenkenträgern scheidet: die konsequente Abschaffung der sogenannten „Störerhaftung“.

          Dass es in Deutschland im internationalen Vergleich wenige offene Internetzugänge gibt, resultiert vor allem aus der hiesigen Rechtslage. Wer einen Internetzugangspunkt (einen „W-Lan-Router“) aufstellt, ist zwar ein kleiner „Provider“, also ein Internetzugangsanbieter. Provider wiederum dürfen nach dem Telekommunikationsgesetz normalerweise nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wie andere den Internetzugang nutzen, den sie zur Verfügung stellen. Doch was für große Provider wie Kabel Deutschland oder T-Online selbstverständlich ist, das soll nach einer umstrittenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs für W-Lan-Betreiber nicht gelten: Sie können auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wenn jemand über ihren Zugang zum Netz Rechte verletzt.

          Aufgrund dessen droht zwar (anders als es Gabriel suggerierte) auch heute schon keine Strafverfolgung, denn strafrechtliche Verantwortung setzt stets eigene Schuld voraus, die über die Figur der Störerhaftung nicht begründet werden kann. Wohl aber drohen W-Lan-Anbietern kostspielige Abmahnungen, nicht selten im vierstelligen Eurobereich - ein Risiko, das es schnell unvertretbar erscheinen lässt, ein offenes W-Lan für Freunde und Gäste anzubieten.

          Keine Gleichberechtigung unter Providern

          Die Ungleichbehandlung der „Nebenbei-Provider“ gegenüber großen kommerziellen Providern ist kaum zu rechtfertigen. Dies führte bereits 2012 zu einem Gesetzentwurf der Linkspartei im Bundestag, um W-Lan-Betreiber haftungsrechtlich anderen Providern gleichzustellen. Auch im Koalitionsvertrag fand sich eine entsprechende Formulierung. In der „Digitalen Agenda“ hingegen wurde das Projekt eingedampft zu einer isolierten Privilegierung bestimmter kommerzieller W-Lan-Betreiber wie etwa Cafés. Privatleute, die ihren Internet-Zugang teilen wollen, blieben so im Regen stehen - beispielsweise die „Freifunker“, eine Bewegung, die aus Überzeugung freien Zugang zum Internet via W-Lan anbietet.

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