Dietmar Dath antwortet auf Maxim Biller : Wenn Weißbrote wie wir erzählen
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Popliteratur wäre Literatur gewesen, die sich an die sozialen Sollbruchstellen herantraut, die sich durch populäre Textgenres wie Krimi, Journalismus, Horror, Lügengeschichte, Science-Fiction oder Porno zieht. Die Übersetzung dieser Brüche aus den Abstraktionen solcher Genres in Realismus oder Naturalismus ist in der angloamerikanischen Welt von der postkolonialen Literatur und von Texten, deren Text-Ich durch anderweitige „identity politics“ hindurchgegangen war, geleistet worden.
Orchideen im Schatten
Man kann sich wünschen, das möge auch hier passieren. Aber Literatur entsteht nicht nach Debattenplan. Sie entsteht nach Marktlage. Der Zeitungsmarkt zum Beispiel sieht so aus, dass Maxim Biller eine Menge Platz bekommt, den Indigenen die Meinung zu geigen. Der Zeitungsmarkt sieht auch so aus, dass ich ebenfalls eine Menge Platz kriege, darauf mit einigen Einfällen zu reagieren.
Beide aber werden wir, in Zustimmung wie Ablehnung, damit auf jeden Fall von wesentlich mehr Leuten wahrgenommen als etwa die präzise Novelle „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle“ von Sharon Dodua Otoo, einer in Berlin lebenden Frau, die sich eine schwarze Britin nennt und als Interventin in politische Diskurse wesentlich eher wahrgenommen wird denn als Schriftstellerin, obwohl ihr Buch über die Haken an den Identitäten, die Leute mit sich herumschleppen, so klug durchgearbeitet ist, dass man damit ein exzellentes Literaturkolleg darüber, was eine Novelle ist, organisieren könnte. Ich kenne das Buch nur, weil ich zum Glück mit Leuten Umgang habe, die politisch antirassistische Arbeit tun, es ist im winzigen Verlag edition assemblage 2012 gleichzeitig auf Deutsch und auf Englisch erschienen. In Literaturzirkeln hätte ich auf den Tipp lange warten müssen.
Ein anderes Beispiel: Das ergiebigste Gespräch - ich knabbere immer noch daran herum - darüber, ob und wie man Familien- und andere persönliche Geschichten auf eine Art erzählen kann, die das, was daran politisch ist, dem erlebten oder aus Erfahrung zusammenmontierten Stoff nicht einfach lehrfabelhaft überstülpt, sondern aus ihm entwickelt, habe ich mit der Architekturkritikerin und Schriftstellerin Layla Dawson führen dürfen, die als Layla Shah 2007 ihren autobiographischen Roman „Brit & Brown“ veröffentlichte. Das Gespräch fand vor einigen Jahren auf einer Feier zu Ehren des ausdauerndsten indigenen Antirassisten der deutschen Gegenwartspublizistik, Hermann L. Gremliza, statt.
Letztes Beispiel: Eine meiner deutsch schreibenden Lieblingsschriftstellerinnen trägt einen nichtdeutschen Namen, über ihre Abstammung aber bin ich komplett uninformiert. Myra Çakan schreibt Science-Fiction, das erste Buch von ihr, das man mir in die Hand gedrückt hat, ist in der Phantastik-Reihe des linken Argument-Verlags erschienen.
Literatur ist keine Insel
Was ich mit diesen drei Beispielen sagen will, ist dies: Alles, was das fade, keinen unerwarteten nichtdeutschen Belastungen ausgesetzte Weißbrot an mir als Literatur herausfordert und in Frage stellt, kommt aus sozialen Begegnungen, ist ermöglicht von politischen Anlässen, politischen Gelegenheiten, politischen Zusammenhängen, nicht literarischen oder kulturellen.
Maxim Biller semmelt der Bewusstseinsindustrie eins rein, das ist seine Begabung, das kann und soll er. Aber die Zustände, die er ablehnt, reimen sich zu gut auf die Zustände in den Städten, an den Schulen, in den Parlamenten, als dass sie sich auf die Formate der Bewusstseinsindustrie werden stutzen lassen.
Das Allerbeste an der Literaturdebatte, die Biller will, ist der Umstand, dass sie sich als Literaturdebatte allein gar nicht führen lässt.