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Die Verortung von Pegida : Edel sei der Volkswille

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Dumpfe Masse oder schweigende Menge? Der Demonstrationszug von Pegida in Dresden Bild: AP

Was brodelt da eigentlich unter der Pegida-Oberfläche: Nationalismus, Rassismus, Faschismus? Vielleicht geht es ja auch eine Nummer kleiner. Soll die Macht rechts zu verorten Monopol derer sein, die links oder mittig sind?

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          In Dresden, dem Ursprung der periodischen Pegida-Versammlungen, stehen deren Organisatoren gewiss rechts von der Mitte. Im Internet, gerade auf mittlerweile versuchsweise verborgenen Seiten, haben einige von ihnen Sätze geschrieben, die eindeutig xenophob, islamophob und rechtsradikal sind. Doch seit diese Leute aus dem virtuellen in den realen Raum Dresdens überwechselten, Resonanz über alle Erwartung hinaus fanden und ihnen die Sache über den Kopf zu wachsen begann, haben sie vernunftgeleiteter Selbstkontrolle den Vorrang vor rhetorischer Selbstberauschung gegeben. Sind sie dadurch schlimmer geworden - oder auf dem Weg zur Besserung? Wie auch immer: Wer in jenen recht durchschnittlichen Leuten, auf deren Sache sich inzwischen große Aufmerksamkeit richtet, strategische Strippenzieher einer braunen Revolution sieht, der ist irgendetwas zwischen gespensterfürchtig und schlecht informiert.

          Zwar marschieren bei Pegida schon auch Rechtsradikale. Doch die allermeisten der vielen Tausenden von Demonstranten gehören in Dresden zum ganz normalen Volk. Es sind Arbeiter und Angestellte, auch etliche Selbständige, von der Mittelschicht bis zu den „kleinen Leuten“, von CDU-Wählern bis hin zum rechten Rand, mit vielen Nichtwählern dabei. Womöglich zeigte sich eine ähnliche Teilnehmerschaft auch andernorts, wenn dort nicht stadtbekannte Rechtsradikale die Organisation übernommen hätten oder Angst vor Gegendemonstranten dem Durchschnittsvolk vom Kommen abriete. Jedenfalls scheint Dresden der eine Extremfall zu sein - und jene Städte ein anderer, in denen Tausende von Gegendemonstranten eine winzige Schar von Pegidisten zum Schweigen bringen, ja aus der Öffentlichkeit vertreiben. Und sehr stolz darauf sind.

          Woher kommt jenes Triumphieren, wenn ein Pegida-Zug durch Straßenblockaden gestoppt, eine Pegida-Kundgebung durch Trillerpfeifen übertönt, eine Pegida-Versammlung durch schiere Übermacht der Gegner verhindert wurde? Und woher die Wut, dass montags beim Dresdner Kräftemessen bislang Pegida der Sieger war? Manches muss man wohl mit eigenen Augen gesehen haben, um es wirklich zu begreifen. In Dresden rufen, meistens voll aufrichtiger Empörung, im Sprechchor vereinte Demonstranten eine Fußballhalbzeit lang „Faschistenpack“ - und sehen unterdessen ganz normale Leute an sich vorüberziehen. Die treibt es durchaus nicht zum Hitlergruß, sondern sie rufen sarkastisch- provozierend „Zugabe!“ Und da wird mit innerer Erregung skandiert: „Es gibt kein Recht / auf Nazi-Propaganda“, während die Leute gegenüber jene Fahnen tragen, mit denen wohl auch die Leute von links und aus der Mitte bei Fußballturnieren zum Public Viewing gehen. Und die um Schwarz-Rot-Gold Versammelten rufen nichts Schlimmeres als „Wir sind das Volk!“

          No-Pegida spielt die bessere Musik

          Was erregt deren Gegner so sehr? Was lässt viele ganz tief empfinden, dass da eine Rattenschar ihrem Fänger, ein Mob seinen Führern, die „Schande für Deutschland“ solchen hinterherläuft, die vor allem „Hass im Herzen“ tragen? Und was macht die anderen so zornig über ihre Deutung durch Gegner und Medien, so wütend über das Verhalten gegen sie, dass ihr lautes „Wir sind das Volk!“ vor allem nach Trotz, kaum nach Stolz klingt?

          Zwar muss ein politischer Feind nicht moralisch böse oder ästhetisch hässlich sein; doch es motiviert schon sehr, wenn er das auch noch ist. Kunstvolle Feindbildpflege befeuert dann den Streit. Man selbst gehört natürlich zu den Anständigen, sonst zöge man ja nicht in den Kampf. Und so begegnet auf Dresdens Straßen der hässliche und böse Feind den Guten. Pegida zeigt zwar schöne Fahnen, doch No-Pegida spielt die bessere Musik. Und hat auch das stolzere, das der eigenen moralischen Überlegenheit absolut sichere Gefühl. Derlei Selbstempfinden scheint nach besonders klarem Ausdruck zu verlangen. Wohl deshalb sind, wo immer sie aufeinandertreffen, Antipegidisten viel lauter als die Pegidianer. Zudem wird bei No-Pegida stilvoll „gerufen“, bei Pegida aber stillos „gebrüllt“. So wenigstens liest man es anderntags in der Zeitung.

          Wirklich gute Gründe haben uns in Deutschland dazu veranlasst, solchen Denk-, Rede- und Handlungsweisen möglichst keinen Raum zu überlassen, die mit altem oder neuem Nazitum zusammenhängen könnten. Das macht alles Sprechen und Tun verdächtig, das nicht links oder mittig ist, sondern von rechts daherkommt. Und die Macht zu deuten, was rechts wäre, haben wir denen überlassen, die sich links oder mittig geben. Was einmal als „rechts von der Mitte“ gilt, sehen wir schon in Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Faschismus abrutschen. Der aber war und bleibt schlecht. Zweifellos verdient er nichts als Ausgrenzung und Bekämpfung. Gut ist hingegen, wer - und was - den Faschismus bekämpft. So entstand ein gefühlt klarer Kanon dessen, was an Betrachtungsweisen, Begriffen, Sprachformeln und Argumenten in Deutschland „geht“ oder eben „nicht geht“. Wer sich daran hält, darf am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Wer sich gegen diesen Kanon vergeht, ist auszugrenzen - und sei es als ein „Latenznazi“, der einfach nicht weiß, was er wirklich ist.

          Die „Veredelung“ von Debatten

          Besonders einflussreiche Schiedsrichter öffentlicher Diskurse sind Journalisten. Tatsächlich haben, ausweislich einschlägiger Studien, Journalisten eine im Durchschnitt linkere Einstellung als die Bevölkerung. Politiker wiederum tun gut daran, sich im Konfliktfall der Schiedsrichterrolle von Journalisten zu unterwerfen. Und an der ist unter den wünschenswerten Bedingungen von Pressefreiheit auch gar nicht zu rütteln. Die Folge: Seit die Achtundsechziger ihren „Marsch durch die Institutionen“ vollendet haben, sind sowohl der öffentliche Diskurs als auch das von ihm geprägte Parteiensystem im Vergleich zu dem nach links gerückt, was sich demoskopisch als reale Meinungsverteilung der Bevölkerung ermitteln lässt. Tatsächlich sind die Wortführer öffentlicher Meinung immer wieder entsetzt darüber, wie große Anteile rechten Denkens die Demoskopen regelmäßig im Volk entdecken. Für normal hält man derlei natürlich nicht, sondern ist enttäuscht, dass im realen Meinen eben doch nicht verschwindet, was man so umsichtig aus dem öffentlichen Diskurs ausgegrenzt hat. Anscheinend bleibt selbst strikte Diskurshygiene ohne umfassende Erziehungswirkung. Und was ursprünglich an zivilisierenden Geboten politischer Korrektheit durchaus nicht repressiv gemeint war, nimmt dann eben doch diese Rolle an, sobald sich diskursivem Erzogenwerden verweigert, wer in die Öffentlichkeit geht.

          Auf diese Weise wachsen vielerlei Spannungen zwischen denen, die unbeanstandet öffentlich reden dürfen, und jenen anderen, die man im wechselseitigen Einvernehmen journalistischer und politischer Schiedsrichter zurechtweisen, ja zum Schweigen bringen kann. Die einschlägigen Praxen erlebt ein Millionenpublikum in unzähligen Talkshows. Die oft auch beabsichtigte Abschreckung möglicher Abweichler vom Denk- und Redekanon zieht zunächst Grummeln, dann innere Kündigung gegenüber einem Gemeinwesen nach sich, das sich diskursoffener gibt, als es in konkreter Praxis ist.

          Solcher Rückzug tatsächlichen Meinens oder Sprechens ins Nichtöffentliche löst aber keinerlei Spannungen. Vielmehr unterbleibt dann gerade das, was doch ein entscheidender Vorteil repräsentativer Demokratie ist. Der Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel, in den Gründungsjahren unseres Landes sehr einflussreich, nannte ihn einst die „Veredelung des empirisch vorfindbaren Volkswillens“. Sie besteht darin, dass im öffentlichen Diskurs Publizisten und Politiker in rationale, unanstößige, diskursiv anschlussfähige Sprache überführen, was sich an Denkweisen oder Interessensbekundungen an den Stammtischen und auf den Internetseiten der Nation ausdrückt, und zwar mit oft ganz unzulänglichen, ja primitiven Mitteln, die ihrerseits manch hetzerische Dynamik entfalten. Unterbleibt dann eine „Veredelung“ des so Vorgebrachten, wie sie gerade Publizisten und Intellektuelle leisten könnten, so wird den von ihren Eliten alleingelassenen einfachen Leuten bald eine akzeptable Sprache fehlen, in der sie ihre Sicht und ihre Anliegen unanstößig ausdrücken könnten. Auf diese Weise entsteht im rechten Bereich des politischen Meinungsspektrums eine Repräsentationslücke. Erst mit der AfD entstand eine Partei, die immerhin verspricht, vom Grundkonsens unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus diese Repräsentationslücke rechts der Union zu füllen.

          Von kleinen Geysiren zu einem Vulkan

          Tatsächlich haben wir es so weit gebracht, dass es für Leute, die sich rechts der Mitte artikulieren wollen, in unseren Talkshows nur noch die Rolle des Krokodils im Kasperltheater gibt: Man akzeptiert sie dafür, zum Gaudium der Wohlmeinenden verprügelt zu werden - teils mit der Klatsche ethischer Empörung, teils mit dem Rohrstock der Satire. Solche Krokodile müssen weg. Solche Feinde zu bekämpfen ist aber nicht nur wichtig, sondern auch gut und schön. Wie weiland edle Ritter auf âventiure bekämpfen die Anständigen nun mit hohem Mut Mischpoke, Mob und Ratten. In Dresden reinigt man nach deren Auftritt sogar die von ihnen „beschmutzten“ Straßen und Plätze. So folgt der Kommunikationshygiene zwar nicht Klassen- oder Rassenhygiene, sehr wohl aber die Massenhygiene.

          Und kann derlei Ausgrenzung überhaupt gut ausgehen? Lässt sich wohl dauerhaft jene Repräsentationslücke verriegeln, die gewiss in guter Absicht herbeigeführt wurde, unter der nun aber vielerlei unterdrücktes Empfinden, Wollen und Denken nach Ausdruck drängt? Anscheinend drängt das Magma unrepräsentierten Volksempfindens und unveredelten Volkswillens allenthalben in Deutschland nach oben. Freilich lagert sich darüber im Westen jene feste Kruste, welche erfahrungsbewährtes Systemvertrauen, jahrzehntelang problemlose Sozialstaatlichkeit und der institutionenbesetzende Aufstieg der Achtundsechziger geschaffen haben. Also dringt nur mittelbar und in kleinen Geysiren nach oben, was unterschwellig auch da brodelt. Doch anders verhält es sich im Osten, wo seit der Wiedervereinigung demoskopische Umfragen zeigen, um wie viel dünner dort das Deckgebirge repräsentativer Demokratie ist. In Dresden kamen bloß einige besondere Umstände zusammen - und ließen einen Vulkan ausbrechen.

          Falls diese Diagnose stimmt, wird im Umgang mit Pegida der traditionelle Therapieversuch nicht viel fruchten. Er besteht darin, die Unanständigen einfach zu verscheuchen, idealerweise durch einen „Aufstand der Anständigen“. Das Deckgebirge unserer politischen Deutungskultur wird im Generationswechsel weg von den Achtundsechzigern porös, während jene tektonischen Geschiebekräfte zunehmen, die der Wandel unseres Landes zu einer multikulturellen Einwanderergesellschaft aufbaut. Unterdrücken wird sich solcher Vulkanismus auf Dauer nicht lassen.

          Höflich und ohne Arroganz

          Richtiger wäre es deshalb, auf die Bauprinzipien unserer pluralistischen, repräsentativen Demokratie zu vertrauen. Ihnen folgend, würde man jene Schwierigkeiten und Interessen ernst nehmen, die Pegida zu thematisieren versucht: die Repräsentationslücke, die Sorge um den Fortbestand vertrauter Kultur, die Zukunftsangst vieler Bürger einer Einwanderungsgesellschaft ohne klare Einwanderungs- und Integrationspolitik. Die Einrichtungen unserer Zivilgesellschaft müssten Foren organisieren, auf denen Pegidisten und No-Pegidianer sich darüber streiten können, was in unserem Land zu tun oder zu lassen wäre. Und die Bundestagsparteien hätten Positionspapiere für oder gegen ein „Bundeseinwanderungs- und Integrationsgesetz“ vorzulegen, damit eine öffentliche Debatte über den ganzen Fächer der Gestaltungsaufgaben unseres Einwanderungslandes zustande käme.

          Der gemeinsame Nenner all dessen ist Kommunikation. Die entsteht zwischen Freund und Feind aber nicht von selbst. Man kann sie aber organisieren. Und man muss sie auch herbeiführen, wenn man das Wohl unseres Landes im Sinn hat. Legitimität entsteht nämlich nur durch Kommunikation und erhält sich anders auch nicht. Auszugrenzen hat nur dann Sinn, wenn es um Extremisten geht, also um die Gegner einer freiheitlichen demokratischen Ordnung. Mit Andersdenkenden sollte man hingegen ins Gespräch kommen - voll guten Willens, höflich und ohne Arroganz. Die steht jenen sogar besonders schlecht, die dem einfachen Volk tatsächlich an Bildung oder Reichtum überlegen sind.

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