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Streit um Konrad Lorenz : Wie verhielt sich der Verhaltensforscher?

Seine Studien zum Verhalten der Graugänse machten ihn berühmt: Konrad Lorenz auf einem undatieten Foto. Bild: ASSOCIATED PRESS

Die Universität Salzburg hat dem Biologen Konrad Lorenz die Ehrendoktorwürde entzogen. Wegen einer Schrift aus der NS-Zeit sei er „unwürdig“. Warum die Entscheidung der Uni bodenlos und schäbig ist.

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          Am 11. November 1983, vier Tage nach seinem achtzigsten Geburtstag, wurde der Biologe Konrad Lorenz von der Universität Salzburg zum Doktor ehrenhalber promoviert. Nach Paragraph 85 der Satzung der Universität kann der Senat verliehene Ehrungen widerrufen, „wenn sich die Geehrten durch ihr späteres Verhalten als der Ehrung unwürdig erweisen oder wenn sich nachträglich ergibt, dass die Ehrung erschlichen worden ist“. Der Beschluss vom 15. Dezember 2015, wonach Lorenz „unwürdig“ erscheint, „als Ehrendoktor der Universität Salzburg geführt zu werden“, stützt sich nicht auf Verhaltensauffälligkeiten des Verhaltensforschers in den letzten fünf Lebensjahren vor seinem Tod am 27. Februar 1989. Vielmehr soll Lorenz sich die Ehrung erschlichen haben - weil „im Verfahren der Verleihung der Umstand verschwiegen“ wurde, dass er sich als Wiener Privatdozent und Königsberger Professor „um eine wirksame Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts“ bemüht habe.

          Patrick Bahners
          Feuilletonkorrespondent in Köln und zuständig für „Geisteswissenschaften“.

          Zwei Texte werden als Belege dieses Bemühens angeführt: das von Lorenz am 28. Juni 1938, drei Monate nach dem „Anschluss“ Österreichs, gestellte Gesuch um Aufnahme in die NSDAP und ein Aufsatz von 1940 aus der „Zeitschrift für angewandte Psychologie und Charakterkunde“ mit dem Titel „Durch Domestikation verursachte Störungen arteigenen Verhaltens“. Nach dem österreichischen Universitätsgesetz kann die Verleihung eines akademischen Grades widerrufen werden, „wenn sich nachträglich ergibt“, dass er „insbesondere durch gefälschte Zeugnisse erschlichen worden ist“. Bedenklich an der analogen Anwendung dieser Norm auf Ehrendoktorate ist, dass die Ehrendoktorwürde dem Geehrten angetragen wird. Schon an der betrügerischen Absicht, wie sie der Begriff des Erschleichens voraussetzt, wird daher zu zweifeln sein. Die Vorstellung, der neunfache Ehrendoktor Lorenz habe sich in den Kopf gesetzt, vor seinem Tod unbedingt auch noch den Salzburger Doktorhut zu erwerben und zwar notfalls durch Täuschung, verrät eine groteske Selbstüberschätzung der 1962 gegründeten Paris-Lodron-Universität.

          War der Aufsatz von 1940 unbekannt?

          Üblicherweise setzt die zuständige Fakultät eine Würdigung der Lebensleistung eines Ehrendoktorkandidaten auf. Inwiefern könnte Lorenz in diesem Verfahren den Aufsatz von 1940 verschwiegen haben? Bei dem Juristen und SS-Obersturmführer Wolfgang Hefermehl, dem ebenfalls postum der Ehrendoktor aberkannt wurde, vermerkt der Beschluss, dass der Aufsatz „Die Entjudung der deutschen Wirtschaft“ in seinem Literaturverzeichnis unterschlagen wird. Bei Lorenz fehlt die entsprechende Angabe: Sein mehrfach aufgelegtes Schriftenverzeichnis führt die Untersuchung zur Domestikation auf. Als die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Theodora Kalikow 1972 ihre Forschungen zu den Veröffentlichungen von Lorenz aus der NS-Zeit aufnahm, sandte er ihr dieses Verzeichnis zu.

          Konrad Lorenz auf einem Foto bei einem Kongress von Nobelpreisträgern aus dem Jahr 1975.
          Konrad Lorenz auf einem Foto bei einem Kongress von Nobelpreisträgern aus dem Jahr 1975. : Bild: AP

          Am 11. Oktober 1973 wurde Lorenz der Nobelpreis für Medizin zugesprochen. In der Zeitschrift der New York Academy of Sciences erschien daraufhin ein Artikel, der seine Eignung in Zweifel zog. Hauptbeleg: der Aufsatz von 1940, den 1972 schon der Psychiater Leon Eisenberg aus Harvard in der Zeitschrift „Science“ kritisch kommentiert hatte. Simon Wiesenthal forderte Lorenz auf, zum Zeichen der Reue auf die Annahme des Preises zu verzichten. Lorenz lehnte das ab, bekundete aber auf der Pressekonferenz in Stockholm sein Bedauern darüber, die inkriminierten Schriften verfasst zu haben. Mit anderen Worten: 1973 erörterte Lorenz vor der Weltöffentlichkeit, was er zehn Jahre später in Salzburg verschwiegen haben soll.

          Die Frage, ob es trotz seiner Distanzierung von den Frühschriften eine Kontinuität kontaminierter eugenischer Ansätze bei ihm gibt, wurde angesichts des Erfolgs seiner zivilisationskritischen Bücher breit diskutiert. Niemandem war diese Dimension seines Werks unbekannt - außer angeblich dem Senat der Universität Salzburg. Die Diskussion dauert an - nur an der Universität Salzburg nicht, die sie für beendet erklärt, indem sie Lorenz zum NS-Propagandisten stempelt. Der Senatsbeschluss zitiert das 2001 bekanntgewordene Aufnahmegesuch, in dem Lorenz sich rühmt, es sei ihm gelungen, schon lange vor der Annexion Studenten zum Nationalsozialismus zu „bekehren“. Überlegungen zur Textsorte unterbleiben: Haben die Senatoren wirklich vergessen, wie man als Karriereanfänger in Bewerbungsbriefen den Erwartungen der Empfänger zu genügen versucht? 1983 wollte sich die Universität Salzburg mit dem Nobelpreisträger schmücken. Ihre eigene Nicht-Thematisierung des NS-Komplexes wird ihm heute nachträglich vorgeworfen. Aus der Urkundenschnur, an der das Universitätssiegel baumelte, dreht man ihm den Strick.

          Die Salzburger Gedächtnissäuberung ist eine Maßnahme symbolischer Entnazifizierung. Sie ignoriert den Stand des durch Forschung gewonnenen moralischen Wissens über die Wissenschaft im nationalsozialistischen Staat: dass ihre Schuld nicht bei einigen (im Fall Lorenz: vermeintlich) besonders fanatischen Nazis abgeladen werden kann. Der Beschluss des Senats ist schäbig gegenüber dem Toten, dessen Namen er aus dem Ehrenbuch der Universität Salzburg streicht. In der Sache ist er bodenlos.

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