Kritische „Mein Kampf“-Edition : Das Wort hat Adolf Hitler
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Autor ohne Vorname: „Mein Kampf“, der Öffentlichkeit präsentiert im Münchner Institut für Zeitgeschichte am 8. Januar 2016 Bild: dpa
Überschnappen als schreiberisches Prinzip: „Mein Kampf“ ist eine einzige Lügenrede. Die kritische Edition aus München zerstört diese Beschallung. Das hätte längst geschehen sollen.
Die Frage, welche Wirkungen ein Buch hat, lässt sich nicht durch seine Lektüre beantworten. Denn wenn ein Buch sich beispielsweise an einer hochkomplizierten Analyse der kapitalistischen Ökonomie versucht, kann es immer Leute geben, die darin Grundlagen für die durch staatlichen Terror gestützte Industrialisierung einer Agrargesellschaft finden. Oder nehmen wir den Fall, dass ein Text von seinen Lesern verlangt, Mutter wie Vater zu verlassen und allem irdischen Reichtum samt politischer Macht zu entsagen. Dann kann es trotzdem dazu kommen, dass er zum wichtigsten Legitimationstext einer hochvermögenden Heilsanstalt wird, deren Soziallehre die Familie zum Basiselement gesellschaftlicher Existenz erklärt.
Wie aber ist es bei einem Buch, das nicht über unbeabsichtigte Nebeneffekte wirksam wurde, sondern seine beabsichtigte Wirkung insofern erreichte, als es 1925 einen mörderischen Staat entwarf, der wenig später verwirklicht wurde? Adolf Hitlers „Mein Kampf“ ließ wenig Zweifel daran, was sein Autor verwirklichen würde, hätte er die politische Macht dazu: die Durchsetzung einer rassistischen Gesellschaft, Angriffskriege gen Osten und Rache an Frankreich, die Ermordung der Juden.
Das heißt aber nicht, dass beim Erwerb der Macht, dies alles zu unternehmen, beim Aufstieg des Nationalsozialismus also, „Mein Kampf“ als Überzeugungsmittel eine wichtige Rolle spielte. Das Buch wurde erst erfolgreich, als Hitlers Macht schon zugenommen hatte, nicht umgekehrt. Lange Zeit überstieg die Zahl der NSDAP- und SA-Mitglieder die Zahl der verkauften Exemplare um das Vierzigfache. Was aber wiederum nicht heißt, dass Hitlers Machtzunahme unabhängig vom Stakkato der Phrasen war, die sich in „Mein Kampf“ finden. Nur, dass diese hasserfüllten Sprüche ihre Wirkung eben nicht über das Buch entfalteten, sondern auf Massenveranstaltungen, in Reden. Was seinerseits in „Mein Kampf“ schon genau so dargestellt wird: Die Feder sei nichts gegen die Macht der Rede, heißt es dort.
Der günstige Preis tut seine Wirkung
So kompliziert verhält es sich also mit diesem Buch, vor dem man schon darum keine Angst haben muss, weil es nur ein Buch ist. Und es ist noch komplizierter. Bis zum Freitag galt Adolf Hitlers „Mein Kampf“ als irgendwie auch für die Gegenwart gefährlich. Jetzt, nachdem die Urheberrechte, die bis dato beim Freistaat Bayern lagen, erloschen sind, kann das Buch erstmals wieder erworben werden - in einer historisch-kritischen Ausgabe, die das Münchner Institut für Zeitgeschichte besorgt hat. Dass die Justizministerkonferenz beschlossen hat, unkommentierte Ausgaben von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ auch weiterhin als Volksverhetzung verfolgen zu lassen, ist ein rein symbolischer Akt gegen das Drucken, nicht gegen das Lesen. Im Internet herrscht kein Mangel an solchen Ausgaben und zwar nicht nur auf Websites von Ariern aller Länder, sondern beispielsweise auch in ganz seriösen digitalen Bibliotheken. Wer also ein Verkaufsverbot des Buches befürwortet, kann nicht meinen, seine Lektüre dadurch wesentlich einzuschränken. Eine Auswahlausgabe aus dem Jahr 1991 belegte bis Freitag bei Amazon den ersten Platz in der Rubrik „Politikwissenschaft“ und immerhin Platz 277 unter allen Büchern.