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Sigmar Gabriel : Unsere politischen Konsequenzen aus der Google-Debatte

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Gewinnverlagerungen müssen begrenzt werden: Lizenzzahlungen von global aufgestellten Unternehmen an Briefkastenfirmen in Steueroasen, um ihre Gewinne dort zu konzentrieren, wo kaum oder keine Steuern anfallen, sind einzudämmen. Das wird seit geraumer Zeit sehr bewusst betrieben: Patente liegen bei einer Scheinfirma, und aus den anderen Standorten fließen Gebühren, bis der Gewinn weggerechnet ist. Wir müssen erreichen, dass Lizenzzahlungen nur dann als steuermindernde Betriebsausgabe anerkannt werden, wenn im Zielland eine angemessene Besteuerung erfolgt.

Eine neue Ordnung der Arbeit

Viertens: Wir müssen eine Ordnung der Arbeit formulieren, in der die „Clickworker“ nicht zu den rechtlosen Tagelöhnern der digitalen Moderne werden. Wir sehen, wie Beschäftigte unter einen beispiellosen Überwachungsdruck gesetzt werden können, wenn ihr PC-Bildschirm, die Kamera oder gar Sensoren an ihrem Körper ununterbrochen ihre Produktivität messen und melden. Wir sehen, wie die Arbeit ihren festen Ort, ihre Grenze zur Freizeit, ihre auf Dauer angelegte Vertragsbeziehung zum Arbeitgeber verliert, wie feste Arbeitsplätze durch „Projekte“ abgelöst werden, die im Netz ausgeschrieben oder auktioniert werden, damit die schnellsten und billigsten Anbieter von Arbeit zum Zuge kommen, das heißt: Alle arbeiten, aber nur der Gewinner wird bezahlt. Die technischen Möglichkeiten zur Zerstörung menschenwürdiger Arbeit lassen sich beliebig weitertreiben. Die entscheidende Frage ist, ob wir dies zulassen und ob wir in einer solchen Welt leben wollen. Diese Debatte müssen wir mit den Gewerkschaften vorantreiben.

Wenn wir zurückblicken auf den Gründergeist des Silicon Valley, dann können wir daraus die Zuversicht ziehen, dass die digitale Ära, die aus kleinen Anfängen mit einer großen Idee gestartet ist, offen bleibt für innovative Ideen, die das Arbeiten und Leben der Menschen zum Besseren verändern. Und dafür brauchen wir Gründer, die das auszeichnet, was im utopiehungrigen Kalifornien durchaus einmal vorhanden war: das Gespür für die Emanzipation des Menschen aus unwürdigen Abhängigkeiten. Aufgabe der europäischen Politik ist es, mit der Kraft einer kristallklaren Analyse, aber auch mit der Eingriffsmacht eines großen Wirtschaftsraums in der Lage zu sein, die demokratisch legitimierte Rechts- und Marktordnung des digitalen Zeitalters neu zu formulieren und dann durchzusetzen, ja, durchzukämpfen, wo es sein muss.

Es geht um die Zukunft der Demokratie

Wir haben die naive und spielerische Phase des Internets hinter uns gelassen. Wir sehen klarer: Die Gefahren der digitalen Revolution liegen zum einen in autoritären oder gar totalitären Tendenzen, die den Möglichkeiten der Technologie selbst innewohnen, zum anderen darin, dass neue Monopolmächte Recht und Gesetz aushöhlen. Es geht also um nicht weniger als die Zukunft der Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung und damit um Freiheit, Emanzipation, Teilhabe und Selbstbestimmung von 500 Millionen Menschen in Europa. Und es ist einmal mehr die Aufgabe von überzeugten Demokraten, den technologischen und wirtschaftlichen mit dem politischen und gesellschaftlichen Fortschritt in Einklang zu bringen. Wenn die Quelle der Gefahr eines digitalen Totalitarismus im Autonomieverlust des Menschen liegt, dann müssen wir von dieser Wurzel her unsere politische Antwort entwickeln. Der Kampf um die Demokratie des digitalen Zeitalters ist der Kampf um die Selbstbestimmung des Menschen.

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