Militärisch-informationelle Bedrohung : Die neuen Massenausforschungswaffen
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Unternehmer mit staatlichen Aufgaben? Googles Eric Schmidt war auch schon als Minister im Gespräch Bild: AFP
Der Spähskandal zeigt, dass unsere Computer Waffen sind. Nun sollten wir uns wappnen. Den epochalen Kampf um die Freiheit kann nur die Politik entscheiden. Eine Antwort auf Martin Schulz.
Ich hielt den Atem an, seit der „Guardian“ am 5. Juni 2013 seinen ersten Snowden-Bericht veröffentlichte und die massenhafte Sammlung von Telefondaten durch die NSA enthüllte. Seit ich den Artikel des Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz „Warum wir jetzt kämpfen müssen“ las, kann ich wieder – zumindest ein wenig – durchatmen. Schulz schreibt, die Herausforderung für die Sozialdemokratie in diesem Jahrhundert bestehe darin, zu einer „Zivilisierung und Humanisierung“ der neuen technologischen Revolution zu gelangen und dabei an der „Unverletzlichkeit der menschlichen Würde“ in einer neuen Welt festzuhalten.
(English Version: „The New Weapons of Mass Detection“ by Shoshana Zuboff)
Die Herausforderung liegt darin, dass die technologische Revolution, wie wir dank Edward Snowden wissen, abermals den Traum der perfekten Kontrolle usurpiert hat. Man benutzt Technologie als trojanisches Pferd eines bislang noch kaum verstandenen Joint Ventures zwischen staatlichen und privaten Institutionen, das eine beispiellose Macht über die Information gewährleistet. Dieser Machtblock operiert jenseits der Kontrolle durch uns als Bürger und Konsumenten.
Ich bezeichne ihn als militärisch-informationellen Komplex, weil er seine Macht aus der Produktion und dem Einsatz neuer, wie ich es nennen möchte, „Massenausforschungswaffen“ bezieht, die aus Daten und dem technischen Apparat zu deren Erwerb, Analyse und Speicherung bestehen. Diese Konzentration der Macht über Daten steckt hinter dem „Zwang zur Kontrolle“ und der „antiliberalen, antisozialen und antidemokratischen“ Dynamik, von der Schulz sprach.
Computer wecken eine „verführerische Kraft“ zur Kontrolle
Für mich ist das ein Déja-vù-Erlebnis. 1988, als der Google-Gründer Larry Page fünfzehn Jahre alt und das Wort „Internet“ noch zehn Jahre von seiner allgemeinen Bekanntheit entfernt war, veröffentlichte ich „In the Age of the Smart Machine“. Das Buch basierte auf einer zehnjährigen Feldforschung an neuen Computerarbeitsplätzen. Ich beobachtete in allen Gruppen dasselbe Muster: Computersysteme, die eine Fülle neuer Lernmöglichkeiten eröffneten, wurden für die Zwecke einer unwiderstehlichen Sehnsucht nach Sicherheit und Kontrolle usurpiert. Bald setzten Manager diese Systeme ein, um Verhalten und Leistung der Beschäftigten stärker zu überwachen. „Die Automatisierung“, schrieb ich damals, „schien eine magnetische, eine verführerische Kraft auszuüben, die versprach, einen Traum von perfekter Kontrolle Wirklichkeit werden zu lassen.“
Zu diesem Traum gehört das Bild von „Menschen, die einer intelligenten Maschine dienen. Aber im Schatten des Traums verlieren Menschen die Erfahrung, kritisch zu urteilen (...), es besser zu wissen, Dinge in Frage zu stellen und nein zu sagen.“ Mir wurde klar, dass nur zielstrebige Führung, eindeutige Strategien und institutionalisierte Werte diese Entwicklung verändern konnten. Heute stehen ganze Gesellschaften vor demselben Dilemma.