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Open-Access-Debatte : Studieren geht über kopieren

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Elektronisch gespeicherte Bücher lassen sich sehr schnell sehr einfach verbreiten. Bild: dpa

Open Access macht alles kaputt – die Verlage, die Bücher, die Wissenschaft. Dahinter steckt auch ein schlimmer Denkfehler: Digitale Verbreitung ist kein Kavaliersdelikt wie das Kopieren von Seiten. Ein Gastbeitrag.

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          Deutsche Verleger haben das abgelaufene Jahr nachträglich zum „annus horribilis“ ausgerufen. Handelt es sich bei der Klage nur um das rituelle Stöhnen, das Verwöhnte absondern, wenn jemand eines ihrer Privilegien zur Disposition stellt? Das Wort vom Schreckensjahr 2015 ist berechtigt, ja scheint fast noch zu schwach angesichts der geradezu biblisch mageren Jahre, die den Verlagen erst noch ins Haus stehen. 2015 wurde nur das Skript für einen verlegerischen Horrorfilm fertiggestellt. Wann und ob wir alle den kompletten Film zu sehen bekommen – ob schon 2016, ob später oder hoffentlich nie –, das wird sich weisen.

          Über die fatalen Weichenstellungen, die zu dieser Situation geführt haben, wurde hier wiederholt berichtet. Die meisten Faktoren, die den Verlagen und ihrem vornehmsten Produkt, dem Buch, das Überleben zusehends schwerer machen, lassen sich unter dem Begriff der digitalen Enteignung fassen. Solche Enteignung kommt mit vielen Gesichtern daher.

          Der Bundesgerichtshof ersetzt die Piratenpartei

          Eine besonders fratzenhafte Physiognomie hat ihr der BGH in seiner Entscheidung vom 16. April 2015 verliehen. Das Urteil, dass eine Bibliothek „das Urheberrecht am Buch nicht dadurch verletzt, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern“ (Mitteilung der Pressestelle des BGH, Nr. 64/2015), stellt faktisch einen Freibrief für Bibliotheken dar, die in ihrem Besitz befindlichen Bücher so einzuscannen, dass sie anschließend nach dem Schneeballprinzip frei verteilt werden können.

          Das Kernproblem dieser Entscheidung liegt in der ihr offenbar zugrundeliegenden weltfremden Gleichsetzung von Ausdruck und elektronischer Speicherung. In den achtziger Jahren, als ein Teil des Studiums darin bestand, dass man im Copyshop ganze Lehrwerke zum eigenen Gebrauch kopierte und binden ließ, war solche Praxis ein weitverbreiteter, wenn auch illegaler Sport – buchstäblich. Wer einmal vierhundert Seiten kopiert hat, der weiß das. Außerdem sind die Kosten für Kopie und Bindung beträchtlich. Wer heute für fünf Euro einen USB-Stick mit sechzehn Gigabyte erwirbt (eines der kleinsten Formate, die im Handel sind), kann darauf in kürzester Zeit rund fünfhundert Werke von mehr als achthundert Seiten speichern. Der Käufer des USB-Sticks erhält damit potentiell mehr als 400.000 Seiten zum Preis von fünf Euro – Seiten, hinter denen die oft jahrelange Arbeit mehrerer Personen steckt. Eine solche Seite kostet den höchstrichterlich geschützten Benutzer des Sticks aber nur 0,001 Cent. Darin ist aber noch gar nicht eingepreist, dass derselbe Stick unendlich oft neu beschrieben werden und seinen Inhalt über eine der zahlreichen Filesharing-Plattformen in Sekundenschnelle weltweit im Internet verbreiten kann. Das Schneeballprinzip, das durch solch elektronische Vervielfältigung in Gang gebracht wird, lässt sich nur noch mit dem Bild der Lawine ausdrücken. Fassen wir, im Lichte der BGH-Entscheidung also zusammen: Deutschland braucht gar keine Piratenpartei mehr. Es hat schon einen Bundesgerichtshof.

          Das Wissen der Welt frei Haus für alle?

          Eine andere Spielart der digitalen Enteignung wird schon länger betrieben, auf Kosten des Steuerzahlers. Im Jahr 2012 beschloss die Deutsche Forschungsgemeinschaft eine großzügig dotierte Ausschreibung unter dem Titel „Wissenschaftliche Monographien und monographische Serien im Open Access“. Gefördert werden hier „Geschäftsmodelle für die Publikation von wissenschaftlichen Open-Access-Monographien und monographischen Serien“ (Information für die Wissenschaft Nr. 53, 16. 10. 2012) - auf Deutsch: elektronische Bücher und Buchreihen, die frei zugänglich ins Netz gestellt werden. Natürlich kann man über die Zuständigkeiten und Aufgaben einer Forschungsgemeinschaft streiten. Unbestreitbar aber dürfte sein, dass das hier aufgelegte Förderprogramm nicht auf konkrete wissenschaftliche Inhalte zielt, sondern auf die Etablierung einer reinen Infrastruktur, die faktisch die klassischen Aufgaben eines Verlagshauses ersetzt, nur mit der Besonderheit, dass die Publikation direkt im Internet erfolgt. Selbst diese Besonderheit verflüchtigt sich jedoch bei näherem Hinsehen: Zwei aus Staatsgeldern gegründete „Verlage“ bieten inzwischen auch Bücher an, als „Print on Demand“.

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