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Kunstmarkt und Museen : Die Kunst demokratisieren? Bitte nicht!

  • -Aktualisiert am

Mehr Platz für die Betrachter? Yoga-Stunde im Rubin Museum of Art in New York Bild: Picture-Alliance

Sollen sich Künstler und Museen den Wünschen der Betrachter beugen? Wer das fordert, bedient sich populistischer Argumente – und kratzt an der Kunstfreiheit.

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          Fußball ist radikal undemokratisch. Eine Elite selbsternannter Experten entscheidet, welche Spieler Förderung erhalten und aufs Spielfeld gehen. Dort spielen sie nach Regeln, denen nur folgen kann, wer viel Zeit im Stadion, vor dem Fernseher oder auf dem Bolzplatz verbracht hat. Gibt es Streit, entscheidet eine intransparent ausgewählte Expertengruppe vor weit entfernten Bildschirmen, wie das Spiel weitergeht. Wäre es nicht, wo heute durch soziale Medien jede Stimme gehört werden kann, viel demokratischer, man würde den Zuschauern überlassen, wen sie aufs Spielfeld schicken, ob eine Ballabnahme als Foul zu werten ist und ob schwer nachvollziehbare Regeln wie das Abseits überhaupt noch zeitgemäß sind?

          Quantenphysik ist radikal undemokratisch. Niemand außer den Wissenschaftlern selbst versteht, was sie tun. Wäre es nicht demokratischer, alle könnten entscheiden, ob sie die horrenden Ausgaben für Labore und Teilchenbeschleuniger überhaupt wollen, und vor allem: welche Forschungsergebnisse sie interessieren?

          Populistische Grobheit

          Wie unsinnig solche Forderungen sind, stellt man sie an den Sport oder an Naturwissenschaften, dürfte jedem einleuchten. Fragt sich, warum sie immer wieder an die Kunst gestellt werden, wie neulich in einem Essay in der „Zeit“, der parallel auf Englisch im Online-Magazin „Artsy“ erschien: Die Museen seien in Abhängigkeit geraten vom Markt und von großen Sammlern, hieß es dort, und sollten sich aus ihr befreien, indem sie das Publikum entscheiden lassen, was es sehen möchte. Ohne Scham bediente der Aufruf das Ressentiment, Kunst habe sich von den Bedürfnissen ,der Menschen‘ entfernt und diene nur sozialer Distinktion. Als handelte es sich bei Künstlern nicht wie bei Fußballern und Wissenschaftlern um Experten, die in jahrzehntelanger Spezialisierung Leistungen erbringen, die nachzuvollziehen eben eine gewisse Mühe abverlangt, in der dann auch der Gewinn und Sinn ihrer Disziplin liegt.

          Man müsste sich mit dieser populistischen Grobheit gar nicht beschäftigen, wäre in ihr nicht ein allgemeines Ressentiment gegen die Kunst zugespitzt; und hätte nicht eine viel gelesene Wochenzeitung sich dieses Ressentiment zu eigen gemacht. Der Essay berührte die Frage, die derzeit viele Künstler und Museen umtreibt, nämlich ob die Kunstfreiheit in Zukunft so weit trägt, dass sie ihre Forschungsarbeit so weit treiben dürfen, wie ihr Material es verlangt, oder ob sie ihre Legitimation nur noch in der Erfüllung vorgegebener Erwartungen finden, sei es an Verständlichkeit, Unterhaltung oder moralischer Erbauung. Eine Bedrohung, die sich die Kunst mit den Geisteswissenschaften teilt.

          Der Essay war verfasst vom Kunstwissenschaftler Stefan Heidenreich, der schon 2017 während Adam Szymczyks Documenta in der „Zeit“ forderte: „Schafft die Kuratoren ab.“ Er ist die Verknappung eines längeren Essays, den Heidenreich im Juni für den Deutschlandfunk verfasst hatte und in dem er die Tatsache, dass in Großbritannien inzwischen Kunstunterricht aus den Lehrplänen weiterführender Schulen verbannt ist, als Beleg für die Irrelevanz der Kunst nutzte statt für ein Plädoyer für die Bewahrung selbständigen Denkens auf Grundlage sinnlicher Erfahrung.

          Es gibt die Demokratie in der Kunst schon

          In der „Zeit“ sprang jetzt der Unternehmer Magnus Resch als Mitautor auf den Zug auf, der einen nutzlosen Ratgeber für Galeriemanagement herausgegeben hat und die App „Magnus“ betreibt, die bietet, was die App Shazam für Musik bietet: Hält man sie auf ein Kunstwerk, erhält man Informationen zur Preisentwicklung, die andere Nutzer eingespeist haben. Ein durchaus nützliches Werkzeug für die Demokratisierung von Spezialwissen im Kunstmarkt. Zuletzt machte er als Koautor einer in „Science“ publizierten Studie von sich reden, die kartographierte, welche Galerien und Museen den größten Einfluss auf Künstlerkarrieren haben. Das Ergebnis war wenig überraschend: Die mächtigsten Galerien und Museen sind die mächtigsten Galerien und Museen. Ausgeblendet war die Frage nach den Gründen: Vielleicht ergibt sich manche Ungleichheit auch daraus, dass manche Galeristen und Museen besonders gute Arbeit machen.

          Das Perfide am „Zeit“-Essay war, dass er nicht nur pauschal die Lebensleistungen von Künstlern entwertete. Sondern auch die ganze Geschichte von Demokratisierungsversuchen in der Kunst ausblendete. Wie durchlässig das Kunstfeld ist, zeigt sich schon darin, wie leicht ein Unternehmer, der sich nie inhaltlich über Kunst geäußert hat, es mit populistischen Thesen kapern kann. Es zeigt sich aber auch in all den Projekträumen und Kunstvereinen, in denen Bürger genau das machen, was Resch und Heidenreich fordern. In Offenbach hat sich zum Beispiel in diesem Jahr ein neuer Kunstverein gegründet, er heißt „Mañana Bold“ und wird von zehn jungen Kunsthistorikern betrieben. Wirklich weit geht der Verein „Neue Auftraggeber“, den der Künstler François Hers 1991 in Paris gründete: Bürger formulieren ein Anliegen, der Verein bestimmt einen Mediator, dieser beruft einen Künstler, der ausgehend von den Bedürfnissen ein Kunstwerk entwickelt. In Mönchengladbach gestaltet gerade die Neuseeländerin Ruth Buchanan, die Klassenfragen bislang eher in abstrakten Installationen behandelt hat, im Auftrag des Arbeitslosenzentrums und des angrenzenden humanistischen Gymnasiums einen für die Stadtgesellschaft offenen Garten, der die Geschichte von Arbeiterbewegungen in Mönchengladbach aufgreift.

          Der Kunstmarkt, den die Autoren scheinheilig angriffen, vermittelt zwischen zwei Feldern, dem der künstlerischen Erfindungen und dem der großen Vermögen. Eine Kritik, die für die Vermögenskonzentration die Kunst in Haftung nimmt, ist verlogen, faul und populistisch.

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