Distanz zu Armenien-Resolution : Der Kotau vor Erdogan
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Wie machen wir das bloß? Ob uns das jemand abkauft? Gleich wird Steffen Seibert sich im Namen der Bundesregierung von der Armenien-Resolution des Bundestags distanzieren. Und sagen, dass er es nicht tut. Bild: dpa
Zuerst lässt die Bundesregierung durchsickern, sie distanziere sich von der Armenien-Resolution des Bundestags. Dann sagt sie: Wir distanzieren uns nicht! Und tut es im selben Moment. Ein erschütterndes Staatsschauspiel.
Am Schluss brauchte man nur noch einen Anlass, um Erdogans Willen zu erfüllen. Denn der Anlass für die geforderte Distanzierung von der Armenien-Resolution des Deutschen Bundestags konnte ja unmöglich sein, dass Erdogan eine Distanzierung fordert. Also steckte man dem „Spiegel“ die Nachricht zu, die Bundesregierung wolle sich von der Armenien-Resolution des Bundestags „distanzieren“. Bundeskanzleramt und Auswärtiges Amt hätten ein entsprechendes Szenario entwickelt.
Der „Spiegel“ meldete die Nachricht – und lieferte dem Regierungssprecher damit den benötigten Anlass. Denn nun konnte sich Steffen Seibert in die Pressekonferenz setzen, die Wogen der sich überstürzenden Berichterstattung glätten und in der Form eines effektvollen Dementis die geforderte Distanzierung aussprechen. Von Distanzierung könne gar keine Rede sein, erklärte Seibert, scheinbar anlassbezogen auf eine Presse-Ente reagierend. Um dann umso unschuldiger, gleichsam im Kleingedruckten, den Satz unterzubringen, auf den es Erdogan ankam, paradoxerweise genau so, wie es das vom „Spiegel“ geschilderte Szenario vorsieht: Die Armenien-Resolution sei politisch zu verstehen und habe keinerlei rechtliche Verbindlichkeit, heißt: sie sei kein Auftrag fürs Regierungshandeln. Nur diesen einen Satz galt es loszuwerden, und Seibert war ihn losgeworden. Der Job war getan.
Frechheit gegenüber den Opfern
Dass besagter Satz eine Selbstverständlichkeit ist, lediglich eine Klarstellung dessen, was der Deutsche Bundestag im Genre der Resolution mitteilt, macht seine Erwähnung umso auffälliger. Er wird nur verständlich als Kassiber für Erdogan. Hier hatte die Türkei das, was sie als Distanzierung erwartete, im Wortlaut erhalten. Eingehüllt in die Sprachwolke, niemand distanziere sich, plazierte der Regierungssprecher den Hinweis auf die juristische Folgenlosigkeit eines Parlamentsbeschlusses – und distanzierte sich.
Das war in der gegebenen Situation eine Frechheit gegenüber dem Bundestag und gegenüber den Opfern des Völkermords, deren das Parlament mit seiner Resolution gedachte, eine Taktlosigkeit. Als ließen sich Sätze wie die folgenden überhören, weil sie nicht „rechtsverbindlich“ sind: „Der Bundestag bedauert die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches trotz eindeutiger Information auch von Seiten deutscher Diplomaten und Missionare über die organisierte Vertreibung und Vernichtung der Armenier nicht versucht hat, dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu stoppen. Das Gedenken des Deutschen Bundestages ist auch Ausdruck besonderen Respektes vor der wohl ältesten christlichen Nation der Erde.“
Für Resolutionspassagen wie diese haben unsere Abgeordneten, zumal solche mit türkischem Familienhintergrund, Morddrohungen erhalten. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen. Nun lässt sie der Regierungssprecher für ein türkisches Linsengericht mal eben wissen, Politik werde nicht so heiß gegessen wie gekocht.