Die Angriffe von Köln : Wären sie nur nicht so dumm
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Der Kölner Hauptbahnhof mit seinem Vorplatz vom Kölner Domplatz aus gesehen am Dienstagabend, 05.01.2016. Einsatzkräfte der Polizei stehen mit Fahrzeugen in Bereitschaft um die Lage zu sondieren, wegen angekündigter Demos als Reaktion auf die Vorfälle der Angriffe in der Silvesternacht. Bild: Edgar Schoepal
Warum es so schwer ist, von der Silvesternacht in Köln und deren Folgen zu sprechen. Und warum es trotzdem sein muss.
Etwas zu den Angriffen in Köln an Silvester zu sagen ist zum jetzigen Zeitpunkt aus zwei Gründen schwer. Erstens: Man weiß wenig über die Täter, außer, dass sie dem Aussehen nach größtenteils „nordafrikanischer“ (woran erkennt man einen Nordafrikaner?) oder „arabischer Herkunft“ waren, und dass darunter, laut den Aussagen von am Einsatz beteiligten Kölner Polizisten, auch Flüchtlinge waren.
Etwas zu den Angriffen in Köln zu sagen ist zweitens schwer, weil sie in eine Zeit fallen, in der man eigentlich auf gar keinen Fall die bekannte problematische Geschichte des arabischen Mannes erzählen will, der nicht mit westlichen Frauen klar kommt und sie erniedrigt. Man will diese Geschichte nicht jetzt erzählen, wo so viele arabische Menschen nach Deutschland kommen, weil sie in ihren Herkunftsländern nicht mehr sicher sind.
Nicht jetzt, wo immer wieder Flüchtlingsunterkünfte brennen und AfD und Pegida gegen Flüchtlinge hetzen. Und schließlich will man diese Geschichte nach den sexuellen Angriffen in Köln noch viel weniger erzählen, weil sie all jenen, die sich vor der „Islamisierung des Abendlandes“ fürchten so hervorragend in den saublöden Kram passt, wobei natürlich niemand weiß, ob die Kölner Täter islamischen Glaubens waren, oder nicht.
Dieses plötzliche Interesse
Man will diese Geschichte nicht erzählen, weil sich jetzt plötzlich Männer für sexuelle Gewalt interessieren und empört sind, die sonst eigentlich immer im Stell-dich-nicht-so-an-Team waren und feministische Anliegen nervig fanden. Man will über diese Geschichte zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht laut nachdenken, weil jene Männer nun beleidigende Leserbriefe an Feministinnen schreiben, da die sich angeblich nicht trauten, sich zu der Gewalt in Köln zu äußern, weil die von Migranten ausgegangen sein soll (und dieser Vorwurf offenbart, unter dem Vorwand sich um die Belange von Frauen zu sorgen, eigentlich nur das frauenfeindliche, frauen-maßregelnde Klima, in dem hier gedacht und gelebt wird).
Nun, da es um die Frauen jener Männer, um ihre Frauen, um die deutsche Frau also, geht ist die deutsche Öffentlichkeit entsetzt. Sie ist beleidigt, weil gefährliche Araber etwas angefasst haben, das ihr gehört, und natürlich sind viele auch ein bisschen erleichtert, weil sich ihre diffuse Angst nun konkret manifestiert hat. Thank God, wir haben ein Problem!
Frauen als Verfügungsmasse
Wie beleidigen sich Männer gegenseitig am härtesten? Sie beleidigen die Frau oder die Mutter des Gegners. Worin besteht die maximale Erniedrigung des Feindes? Man vergewaltigt seine Frauen. Und was sind die verletzendsten Schimpfwörter in der deutschen Sprache? Hurensohn, Nutte, Schlampe, Fotze. Und wie beleidigt man einen Mann, wenn man seine Würde anfassen will? Genau so, man nennt ihn Hurensohn, Nutte, Schlampe, Fotze.
Die Herabsetzung erfolgt immer über das Weibliche, seit ich denken kann, und davor war es genauso. Inwieweit sich dieser Frauen-Herabsetzungsmechanismus auf der Seite der Täter in Köln und derjenigen, die diese Tat nun kommentieren, vollzogen hat, weiß ich nicht. Ich kann nur behaupten, dass es den Tätern in Köln wahrscheinlich großen Spaß gemacht hat, sich bei den anwesenden Frauen zu bedienen und dass damit ein Gefühl von Macht verbunden war, das sie sonst nicht so häufig erleben; und dass die eben erwähnte deutsche Öffentlichkeit dies als maximalen Angriff auf sich selbst versteht (als Rapper würde man sagen, die Araber ficken Deutschland, literally – die Araber, über die man sich erzählt, dass sie angeblich so potent sind).
Ich weiß außerdem, dass alle Beteiligten, die sich nun zu der Gewalt in Köln äußern, Interessen halten (für Flüchtlinge, gegen Flüchtlinge, für und gegen den Islam, für Feministinnen, gegen Feministinnen, gegen Pegida/AfD/Nazis, für Pegida/AFD/Nazis, für Wir-schaffen-das und gegen Wir-schaffen-das) und dass die Frauen, die in der Silvesternacht angegriffen wurden, für die jeweilige Meinung des jeweiligen Kommentators benutzt werden. Um die Frauen geht es nicht, sie sind Verfügungsmasse und Verhandlungsgegenstand. Das funktioniert ganz ähnlich, wie bei den Männern, die Frauen beleidigen, um Männer zu beleidigen.
Zurück zu der Geschichte von den arabischen Männern und den westlichen Frauen, die ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht erzählen will, weil ich dadurch mit Sicherheit Applaus von Vollidioten bekomme. Andererseits sind Vollidioten dumm, ich bin kein Pädagoge, und Leser sind keine Schüler. Es war diese Geschichte, die ich sofort und zuerst im Kopf hatte, als ich von Köln hörte.
Diese Geschichte im Kopf
Du läufst durch die Straßen, siehst, dir kommt eine Gruppe von Männern (oder Jungs, wechselt) entgegen, die schwarze Haare haben und die du sofort als Araber, Kurden, Türken oder von mir aus Nordafrikaner identifizierst, und du weißt, es dauert noch ein paar Schritte und dann sagen sie was. Ob Du ficken willst, dass dein Arsch und deine Titten gut sind, und wenn du richtig Pech hast, fassen sie dir im Vorbeigehen irgendwohin. Meiner kleinen Schwester sage ich, dass sie auf den Boden gucken und schnell weiter gehen soll, wenn sie sieht, dass ihr eine Männergruppe entgegen kommt, auf die die eben genannten Kriterien (eigentlich genau diese Kriterien: schwarze Haare, dunkle Augen, breitbeiniger Gang, Bock auf Stress) zutreffen.
Ich sage ihr, dass es sie provoziert, wenn man ihnen ins Gesicht sieht, und wenn man so will, ist das mein Armlängen-Tipp, der aber nichts damit zu tun hat, dass ich denke, dass sich meine kleine Schwester falsch verhält. Es ist eine pragmatische Überlegung zu einem alltäglichen Problem, auf das weder ich noch irgendein Politiker eine Antwort weiß, weil es ein komplexes Problem ist, für dessen Lösung man viel Zeit braucht. Und Geld, und gute Ideen und Willen.
Meine Schwester meint, bei ihr funktioniere die Sache mit dem auf den Boden gucken nicht, sie glaube, dass es die erst wütend mache, wenn man sie nicht ansieht. Dann sage ich, nein, das ist in deren Welt ein Zeichen von Demut, die schätzen demütige Frauen, und dann schämte ich mich kurz für das, was ich da gerade gesagt habe, weil es so pauschal und dumm klingt. In beiden Fällen rufen die Männer, die gerade vorbei gegangen sind, einem gelegentlich noch „Fotze“ hinterher, und dann ist es geschafft, und ich werde kurz aggressiv, jedoch ohne mich über das, was gerade passiert ist, zu wundern.
Jemand, der noch schwächer ist
Ich sehe mir dann beim Denken zu, und wie ich gegen die Misogynie dieser Männer meinen Klassismus in Stellung bringe. So: Vergiss es, die sind viel ärmer dran als du. Ich versuche also, mir irgendwie ein machtvolles Gefühl zu verschaffen.
Und denke weiter: Ihr seid viel dümmer als ich, und ich hoffe, dass ihr, wenn ihr wüsstet, wie viel dümmer ihr seid, nicht mehr so ekelhaft mit mir umgehen würdet. Dann denke ich: Wenn das so wäre, wären sie nicht mehr dumm, dann wären wir in der Lage, von der gleichen Welt zu sprechen, und das ist das ganze Problem.
Die Jungs, die mir häufiger auf der Straße entgegen kommen und mich beleidigen, sind im Regelfall weniger gebildet als ich, sie haben weniger Geld als ich, und sie haben im Laufe ihres Lebens schon häufiger zu spüren bekommen, dass sie in dieser Gesellschaft unten stehen, weswegen sie sich jemanden aussuchen, der noch schwächer ist und demgegenüber sie Macht demonstrieren können.
In dieser Gesellschaft
Sie haben erlebt, dass ihr Vater, der in ihrer Kultur eigentlich stark zu sein hat, in diesem Land schwach und unbedeutend ist, weswegen sie wütend sind und auf der Straße irgendwie wirksam werden müssen. Außerdem haben sie im Regelfall zu Hause gelernt, dass Männer über Frauen stehen und dass Frauen, die anders aussehen, als die meisten Frauen, die sie von zu Hause kennen, Schlampen sind, die eigentlich darum bitten, erniedrigt zu werden.
Man muss nur den Rappern, die aus arabischen (türkischen, kurdischen) Familien kommen, zuhören, und man bekommt diese Geschichte in den unterschiedlichsten Varianten erzählt, aber es bleibt immer die gleiche. Wenn ich eben diese Rapper treffe, deren Musik ich mitunter absolut phantastisch finde, funktioniert das zwischen uns oft nicht so gut, weil sie nicht wissen, was diese Frau da soll.
Ein deutsches Problem
Sie begegnen mir einerseits mit Geringschätzung, sind aber gleichzeitig verwirrt, weil ich der Journalist bin und insofern eine Machtposition habe. Beide Seiten sind misstrauisch, ich, weil ich glaube zu wissen, was sie wirklich denken, und nicht mit jemandem sprechen will, der mich für eine dumme Schlampe hält; sie, weil sie ihre Überlegenheit demonstrieren möchten und gleichzeitig etwas von mir wollen. Insofern sind wir wohl aus ganz ähnlichen Gründen misstrauisch, nämlich aus der Angst heraus, nicht akzeptiert zu werden.
Dass Araber (Türken, Kurden, Migranten) die sind, an denen ich draußen nicht so gerne vorbei gehe, hat also zum einen kulturelle Herkunfts-Gründe, ist aber genauso ein deutsches Problem. Ein Klassenproblem, also die Frage nach dem Zusammenhang von sozialer Herkunft und was später daraus wird.
Ein Klassenproblem
Die Männer, von denen ich spreche, bleiben meistens für immer an ihrem Platz, und die wenigsten von ihnen machen die Erfahrung, von Deutschland gemocht zu werden. Es geht um Aufstiegschancen, um die Frage, wer wo wohnen darf, wer auf welche Schule geht und wer mit wem redet und vor allem wie. Ich denke nie, dass diese Männer sich verpissen sollen. Weil mir hier nichts gehört, und weil ich weiß, dass ich genauso gut sie sein könnte und mich dann wahrscheinlich genauso verhalten würde.
Ich denke aber auch, dass es leider totaler Quatsch ist zu sagen, es gebe dieses Problem mit den Männern, an denen ich nicht vorbei gehen will, nicht. Denn damit ist nicht gesagt, dass deutschen Männer keine Frauen angrapschen, erniedrigen und vergewaltigen. Damit ist nicht gesagt, dass es okay ist, dass sich Deutschland nur dann für sexuelle Gewalt interessiert, wenn sie von Migranten ausgeht.
Das eine und das andere Deutschland
Was daraus folgt ist etwas anderes: Deutschland hat eine Macke. Denn es entgleist inhaltlich in dem Moment, in dem die Vorwürfe gegen die Männer „arabischer oder nordafrikanischer Herkunft“ erhoben werden auf wirklich unglaubliche Weise, und will diese entweder gleich ganz rausschmeißen. Oder es will – und das ist das andere Extrem – nicht über deren „arabische oder nordafrikanische Herkunft“ und einen möglichen Zusammenhang mit einem frauenverachtenden Frauenbild sprechen.
Das heißt: Das eine Deutschland will nicht über sexualisierte Gewalt sprechen. Dieses Deutschland will über sich selbst sprechen und seine Angst davor, dass es nicht so bleiben darf, wie es ist. Das andere Deutschland will über sich selbst sprechen, aber nur darüber, dass Deutschland nicht über sexualisierte Gewalt sprechen will. Es weigert sich aber, über den Zusammenhang von kultureller Herkunft, Chancengleichheit und Frauenfeindlichkeit zu sprechen, was völlig falsch ist, besonders gegenüber den Frauen, die angegriffen worden sind.