Aktion „Flüchtlinge fressen“ : Die Tiger drücken ihr Bedauern aus
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Tiergehege: Das „Zentrum für politische Schönheit“ stellt aus. Bild: dpa
Wer instrumentalisiert hier wen? Die Kunstaktion „Flüchtlinge fressen“ sollte die Politik unter Druck setzen. Doch sie hinterlässt nur jede Menge Fragezeichen.
Am Ende sagten die Tiger das große Fressen ab, wäre ja doch bloß Zirkus gewesen: „Es wäre falsch, etwas im Theater zu Ende zu bringen, was noch längst nicht zu Ende ist.“ Es hatte sich eine ziemlich große Menge vor allem junger Leute an der Manege versammelt, die vor dem Maxim Gorki Theater in der Mitte Berlins aufgebaut ist, neugierig, wie sich das Zentrum für Politische Schönheit aus der Affäre ziehen würde mit seiner Ankündigung, an diesem Abend Flüchtlinge von Tigern fressen zu lassen. Die Stimmung ist aufgeräumt, ein Besucher meint anerkennend: „Der Spannungsbogen ist schon phantastisch.“ Am Nachmittag hatte sich, als zwei der schönen starken Tiere endlich mal aus ihrem Verschlag rausgekommen waren, sogar Claus Peymann blicken lassen, war dann jedoch schnell wieder verschwunden. Nur von dem Großaufgebot der Polizei, das die Aktivisten wegen des Verdachts auf Beihilfe zum assistierten Suizid angekündigt hatten, ist weit und breit nichts zu sehen.
Eine viertel Stunde bevor der Countdown zum „öffentlichen Untergang“ auf einer digitalen Anzeigetafel abgelaufen ist, decken Arbeiter die Scheibe zum Käfig mit einer Holzverkleidung ab. Die Menge wird gebeten, zum Eingang des Maxim Gorki Theaters hinüberzugehen. Und dort trägt nun eine der Flüchtenden, die sich zum Gefressenwerden bereiterklärt hatte, die syrische Schauspielerin May Skaf, die Verzichtserklärung der Tiger vor. Die Tiger sprechen als Repräsentanten der Theaterwelt; immerhin wären sie in den letzten zwölf Tagen ja Schauspieler gewesen und hätten durch die Scheiben ihres Käfigs in den Sommer dieser Stadt geblickt, die sich so sehr „an den Frieden gewöhnt hat“.
Kunstaktion : Doch kein „Flüchtlinge fressen“ in Berlin
Grenzen des Theaters
Die verblüffende Blickumkehr war zugleich ein Epilog über die Grenzen des Theaters, selbst in seiner zur politischen Wirklichkeit hin entgrenzten Form, wie sie die Aktivisten der Politischen Schönheit betreiben. Die EU-Richtlinie, die es Fluggesellschaften verbietet, Menschen ohne gültigen Aufenthaltstitel, also auch Flüchtlinge, nach Europa zu bringen, bleibt weiter bestehen, und auch den entsprechenden Paragraphen im deutschen Aufenthaltsgesetz hat der Bundestag vergangene Woche entgegen einem parallel zur Kunstaktion von der Linken eingebrachten Antrag nicht abgeschafft – und damit kann das Stück, das den öffentlichen Blick auf diese Paragraphen zwingen wollte, nach der Logik der Theaterleute nicht zu Ende sein. „Die Katharsis“, sagten die Tiger bedauernd, „findet nicht mehr statt.“
Nach diesem Ende folgt ein weiterer der vielen Brüche innerhalb der Aktion, nämlich noch ein zweites Ende. Auch die Schauspielerin bat nun mit einigem Pathos und ein bisschen Publikumsverachtung um Entschuldigung, dass sie die an sie gestellten Erwartungen enttäuschen müsse: „Was wäre mein Schrei gegen die ungehörten Hilferufe nachts auf dem Meer?“ Und auch sie fordert die Zuschauer auf, das Stück selber weiterzuspielen, im politischen Aktivismus: „Vergesst mich, vergesst die Tiger. Denkt an euch und daran, was für Menschen ihr sein wollt. Ich wäre gern die Unruhe in euren Herzen.“ Beifall brandet auf, wie bei einer gewöhnlichen Theatervorstellung. Doch zuvor hatte die Menge der Schauspielerin mit einer Atemlosigkeit zugehört, wie sie ohne den gewaltigen Aufwand an Fiktions- und Realitäts-Vermischung, den die Aktivisten getrieben hatten, vielleicht nicht möglich gewesen wäre. Diente der Ausgriff in die Politik also letztlich bloß der Kunst, dem intensiveren Erleben eines dramatischen Textes?
Der Flug fällt aus
Oder war umgekehrt die Kunst nur der Hebel, um die politischen Verhältnisse in eine bestimmte Richtung hin zu bewegen? Kern der Aktion war der Versuch, mit allen möglichen Mitteln der künstlerischen und außerkünstlerischen List syrische Flüchtlinge in einem exemplarischen Flug aus der Türkei nach Deutschland zu transportieren und damit Druck auf die geltenden Bestimmungen auszuüben.