Deutsche Sprache : „Satellit“ schreiben, das können sie - aber sonst?
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Die Rechtschreibung bleibt ein unbestelltes Feld Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb
Wie steht es mit der deutschen Sprache? Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat eine neue Studie vorgelegt: Die Rechtschreibreform wird nicht akzeptiert, eine knappe Mehrheit beklagt den Sprachverfall durch elektronische Medien, immerhin sind die Rechtschreibkenntnisse zuletzt konstant geblieben.
Die Rechtschreibreform wird auch zwölf Jahre nach ihrer Verkündung und zwei Jahre nach ihrer endgültigen Einführung von der Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht akzeptiert. Das ist das wichtigste Ergebnis einer Studie zum Sprachverhalten der Bundesbürger, die die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) beim Institut für Demoskopie in Allensbach in Auftrag gegeben hat. Demnach lehnen fünfundfünfzig Prozent der Deutschen die Rechtschreibreform immer noch prinzipiell ab, neun Prozent befürworten sie; einunddreißig Prozent erklären, die Reform sei ihnen egal. Bei der Frage nach den täglichen Problemen mit dem Deutschen entscheiden sich sogar neunundsiebzig Prozent der Teilnehmer für die Aussage „Durch die Rechtschreibreform weiß man bei vielen Wörtern gar nicht mehr, wie sie richtig geschrieben werden“. Selbst eine Mehrheit der Reformbefürworter (vierundfünfzig Prozent) teilt diesen Standpunkt.
Die Allensbach-Studie offenbart eine weitverbreitete Skepsis über die kulturelle und sprachliche Entwicklung des Landes. Zwei Drittel der Befragten erklärten, die deutsche Sprache drohe „immer mehr zu verkommen“. Als Hauptgrund für den Verfall wird der Umstand genannt, dass heute weniger gelesen werde als früher. Eine knappe Mehrheit beklagt den zunehmenden Einfluss anderer Sprachen im Deutschen und den Verfall des sprachlichen Ausdrucks in E-Mail- und SMS-Mitteilungen. Auch die schädliche Wirkung des Fernsehens (vierundvierzig Prozent) und der Elternhäuser (einundvierzig Prozent) wird genannt.
Das Deutsche in der Welt
Von einem „Lamento“, das sich nicht unbedingt in der Wirklichkeit spiegele, sprach der Allensbach-Projektleiter Rüdiger Schulz bei der Vorstellung der Studie in Berlin. Rudolf Hoberg, der Vorsitzende der GfdS, erklärte, noch nie sei in Deutschland so viel gelesen worden wie heute. Auch die Orthographie habe sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht verschlechtert. So konnten im Jahr 1957 nur sechsunddreißig beziehungsweise elf Prozent der Befragten die Wörter „Lebensstandard“ und „Rhythmus“ richtig schreiben; jetzt sind es sechsundfünfzig beziehungsweise dreißig Prozent. Allerdings seien, so Hoberg, die Rechtschreibkenntnisse seit Mitte der achtziger Jahre auch nicht besser geworden, obwohl sich im selben Zeitraum die Zahl der Abiturienten verdoppelt habe. Nur beim Wort „Satellit“ gibt es einen spürbaren Aufwärtstrend.
Ein zweites wichtiges Thema der Studie sind das Vordringen englischer Ausdrücke in die deutsche Alltagssprache und die Präsenz des Deutschen in der Europäischen Union. Dabei zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Einschätzung zwischen Älteren und Jüngeren und zwischen Ost- und Westdeutschen. So stören sich sechsundvierzig Prozent der Ostdeutschen an Wörtern wie „Kids“, „Event“ und „Meeting“, im Westen sind es nur siebenunddreißig Prozent. Bei den über Sechzigjährigen bekunden sechsundfünfzig Prozent ihr Missfallen gegenüber englischen Ausdrücken, in der Altersgruppe zwischen sechzehn und neunundzwanzig Jahren dagegen nur fünfzehn Prozent. Gleichwohl sind knapp zwei Drittel der Gesamtbevölkerung der Meinung, viele Eigenheiten der deutschen Sprache gingen allmählich verloren. Die Zustimmung zu den Aussagen „Die deutsche Sprache verliert in der Welt an Bedeutung“ und „Die Verständigung mit dem Ausland wird erleichtert“ ist gleich hoch (rund vierzig Prozent). Eine Mehrheit von dreiundfünfzig Prozent findet, das Deutsche sollte in der EU stärker verwendet werden. Achtundsiebzig Prozent sprechen sich gegen eine europäische Einheitssprache aus.
Von Event zu Event
Interessant ist die Entwicklung der Fremdsprachenkenntnisse. So hat die Verbreitung des Russischen in Ostdeutschland seit dem Fall der Mauer von dreißig auf einundzwanzig Prozent abgenommen, die des Englischen ist von dreiunddreißig auf neunundvierzig Prozent gestiegen. In der Liste der wichtigsten Fremdsprachen liegt Englisch mit achtundneunzig Prozent an der Spitze, dahinter folgen Französisch (achtundvierzig), Spanisch (zweiunddreißig) und überraschenderweise Chinesisch (neunzehn). Latein und Russisch halten sich bei fünfzehn Prozent, während Altgriechisch bei einem Prozent liegt.
Wer das Drama der deutschen Rechtschreibreform kritisch verfolgt hat, die intellektuellen Intrigen und politischen Winkelzüge, die ihre Einführung begleitet haben, muss sich in seiner Skepsis durch die Allensbach-Studie bestätigt fühlen. Wie von vielen vorausgesagt, hat die Reform die Unsicherheiten im Umgang mit der deutschen Sprache nicht vermindert, sondern verstärkt. Die Abneigung gegen das Reformwerk geht, auch wenn die Studie diesen Aspekt nicht aufschlüsselt, offenbar quer durch alle Altersgruppen. Aber vielleicht werden uns die Tücken des Deutschen ja einmal winzig vorkommen, wenn wir erst alle mit unseren Kindern Chinesisch büffeln. Bis dahin zappen wir uns munter weiter mit den Kids von Event zu Event.