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Repression in Kuba : Vaterland auf Leben und Tod

Bei der Demonstration gegen die Regierung des kubanischen Präsidenten Miguel Diaz-Canel in Havanna wird ein Mann verhaftet. Bild: AFP

Nach den Protesten in Kuba: Der Präsident Miguel Díaz-Canel beschwört die Werte der Revolution, doch der Schriftsteller Ángel Santiesteban muss untertauchen, weil ihm Gefängnis droht.

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          Als Fidel Castro vor fünf Jahren starb, trat ein vergreistes Regime durch die eiserne Konstitution des zählebigen Bruders Raúl Castro in eine weiter vergreisende Verwaltungsphase ein. Nicht viele Zeitgenossen dürften damals davon Notiz genommen haben, denn mit dem Verschwinden des einzigen Hinguckers im politischen Leben des Inselstaats waren auch Pathos und Charisma verschwunden: Kuba wurde langweilig, der Che-Guevara-Exotismus verflog. Noch stiller allerdings wurde es um die Gralshüter der Revolution, als vor drei Jahren auch der schattenhafte Bruder des ehemaligen „Comandante“ abtrat und das Präsidentenamt dem heute einundsechzigjährigen Miguel Díaz-Canel übertrug: Nun gab es gar nichts mehr, was den Karibik-Sozialismus funkeln ließ, nicht einmal mehr der Familienname des Genossen Fidel, der mit seiner biblisch anmutenden Langlebigkeit Generationen von Kubanern geprägt und unzählige Oppositionelle überlebt hatte.

          Paul Ingendaay
          Europa-Korrespondent des Feuilletons in Berlin.

          Dann kam die Corona-Pandemie. Und sie war zu viel für das morsche Gerüst dieses Staates. Der ausbleibende Tourismus zwang die marode Wirtschaft, der auch die zaghaften Privatisierungen nach Fidels Rückzug nicht aufgeholfen hatten, endgültig in die Knie. Eine dritte Welle der Pandemie schwappte über das Land, Unzufriedenheit und Frustration wuchsen. In drei Jahren war es dem neuen Präsidenten, dessen Namen außerhalb Kubas kaum jemand kennt, nicht gelungen, einen Hauch von Öffnungsgeist erkennen zu lassen. Je weiter sich die junge Generation von der Revolution von 1959 entfernte, desto weniger taugten deren Parolen noch als politischer Appell.

          Der Schriftsteller Ángel  Santiesteban lebt derzeit  im Untergrund.
          Der Schriftsteller Ángel Santiesteban lebt derzeit im Untergrund. : Bild: Foto Hendrik Rojas

          So waren es nicht nur Künstler, Intellektuelle und Dissidenten, die vor zehn Tagen bei den Protestdemonstrationen in verschiedenen Teilen des Landes mitmarschierten, sondern viele junge Leute, die einfach ein besseres Leben fordern. Und nicht von ungefähr singen sie den millionenfach geklickten Song „Patria y vida“ (Vaterland und Leben) des kubanischen Rappers Yotuel. Der Titel ist eine direkte Kampfansage, und längst singt man ihn auch in den Exilkreisen von Miami und Madrid. Denn er ist die Umkehrung des revolutionären Slogans „Patria o muerte“ (Vaterland oder Tod), den Fidel Castro nach dem Sturz des Batista-Regimes vor gut sechzig Jahren auf Münzen prägen und metergroß an Havannas Hausfassaden malen ließ. Patriotismus, hieß das damals, sollte sich paaren mit äußerstem Todesmut. Die neue Protestgeneration, die für die größten Demonstrationen der letzten Jahrzehnte gesorgt hat, will damit definitiv nichts mehr zu tun haben.

          Auch der Schriftsteller Ángel Santiesteban und seine Frau, die Journalistin Camila Acosta, waren vor zehn Tagen beim Marsch in Havanna dabei. Sie erlebten mit, wie die kubanischen Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken und Festnahmen auf das Aufbegehren reagierten. Man kann sich im Netz verwackelte Videos ansehen, die zeigen, wie Schlägertrupps von offenen LKW springen, um den friedlichen Protest mit Gewalt zu ersticken. Am Tag darauf wurde Camila Acosta, Mitarbeiterin der spanischen Tageszeitung „ABC“, festgenommen, und Santiesteban musste untertauchen. Der vielfach prämierte Autor und Betreiber des Dissidentenblogs „Los hijos que nadie quiso“ (Die Kinder, die niemand wollte) hat allen Grund, um sein Leben zu fürchten: In den letzten zehn Jahren hat der Staat den ehemals umworbenen, dann verfemten Autor mit konstruierten Strafprozessen unter Druck gesetzt und anschließend zu fünf Jahren Haft verurteilt, von denen er zweieinhalb Jahre verbüßen musste. Seitdem ist Santiesteban, Jahrgang 1966, ein sichtbarer Störenfried geblieben: ein Mann, der nicht den Mund hält und dafür Risiken in Kauf nimmt – und der die Insel auf keinen Fall verlassen will.

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