Ideologe der Rechten : In Gruppen bei sich
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Der Publizist Frank Böckelmann, porträtiert in seiner Wohnung in Dresden. Bild: Christoph Busse
Vom linken Manifestverfasser zum rechten Ideologen: Frank Böckelmann wird achtzig Jahre alt.
„Lesen (allein), nicht Sprechen bildet.“ Das hat Frank Böckelmann 1991 in der Zeitschrift Kunstforum geschrieben. Er war damals fünfzig Jahre alt und blickte zurück auf seine Jugend, seine Beteiligung an einer Serie kleiner Zusammenschlüsse von Personen, die im Milieu des Avantgardismus begann und der Studentenbewegung und dem Terrorismus den Weg bereitete. Über die 1963 an seinem Studienort München gegründete Subversive Aktion, deren Chefideologe Dieter Kunzelmann war, brachte Böckelmann 1976 eine Quellensammlung mit dem Untertitel „Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern“ heraus. Der fünfzehn Jahre später verfasste Aufsatz entfaltet den Gedanken, dass den Organisationen, die es auf Weltveränderung durch künstlerische Tat angelegt hatten, durch ihre Verfasstheit der Erfolg unmöglich war.
Die These vom ausschließlichen Bildungswert des Lesens im Kontrast zum Sprechen dient zur Erklärung eines literaturgeschichtlichen Befundes: der Paradoxie, dass Gruppen, die zur Propagierung gemeinschaftlicher Ziele eine eigene Textgattung pflegten, das von einem Kollektiv autorisierte Manifest, keinen Gemeinschaftsstil ausbildeten, obwohl die literarische Arbeit als Prozess der Zirkulation organisiert war, in dem kein Text Privateigentum blieb. In Böckelmanns Zirkeln trat das Gegenteil jener Homogenisierung ein, die unter dem Schlagwort der Spiegel-Sprache diskutiert wurde: „Der schnelle Austausch der Manuskripte für gemeinsame Plattformen förderte jeweils die Herausbildung eines eigentümlichen, persönlichen Stils.“
Die Behauptung, nur das einsame Lesen präge die stilistische Handschrift, während das Sprechen vor Publikum für die Beherrschung der Sprache folgenlos bleibe, hat etwas Überschießendes, ist apodiktischer als für den Erklärungszweck erforderlich. Dass hier ein radikaler Individualismus hervortritt, ein Ideal der Selbsterziehung, frappiert, weil es laut Böckelmann die Schwäche der gegenkulturellen Revolutionsspiele gewesen sein soll, dass sie dem Individualismus der kapitalistischen Täuschungswirtschaft nichts entgegenzusetzen hatten und seine Versprechungen reproduzierten. Böckelmann ist Herausgeber von Tumult, einem 1979 im Zeichen deutscher Neugier auf französische Theorie gegründeten Periodikum, das nach einigen Revolutionen im Redaktionskreis heute als „Vierteljahresschrift für Konsensstörung“ das im Bahnhofsbuchhandel vorgehaltene Theorieorgan der nationalistischen Systemopposition ist, die durch den Streit um die Flüchtlingshilfe politische Wirkung erlangte. Da die Selbstkritik des subversiven Aktionisten Böckelmann darauf hinausläuft, dass die Grüppchen der Manifestschreiber die Machbarkeit von Gesellschaft überschätzt hätten, die Chancen für Tüftler und Bastler, liegt der Verdacht nahe, seine Wendung nach rechts als Selbstauslieferung des Intellektuellen an Gruppen zu deuten, die er sich als vorgefunden vorstellen möchte.
Böckelmann, der seinen Lebensunterhalt als Medienforscher außerhalb des Universitätsbetriebs verdiente, besteht indessen darauf, dass er diesen Rückschritt nicht vollzogen habe. Er will nach wie vor nichts unvermittelt gelten lassen. In seinem Vorwort zu dem 2018 im Format eines Gesprächsbuchs veröffentlichten Manifest von Björn Höcke hebt Böckelmann hervor, dass Höcke den Begriff des Volkes konstruktivistisch definiere. „Höcke meidet sowohl das Lamento der Selbstrechtfertigung als auch die Unschuldsmiene.“ Diese Charakteristik trifft allerdings weniger auf den Tribunen der neuen nationalen Revolution zu als auf ihren Ideologen, der am 25. Juli achtzig Jahre alt wird.